Stickstoff begrenzt CO2‑Senken: Neue Modellbefunde

Stickstoff begrenzt CO2‑Senken: Neue Modellbefunde

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Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Klimamodelle zu optimistisch waren in Bezug darauf, wie viel zusätzliches Kohlenstoff Pflanzen aus der Atmosphäre aufnehmen können. Die Zunahme des Pflanzenwachstums durch erhöhtes CO2 — der sogenannte CO2‑Düngungseffekt — hängt stark vom Stickstoffgehalt des Bodens ab. Jüngste Analysen zeigen, dass die natürliche Verfügbarkeit von Stickstoff in vielen Modellen überschätzt wurde, was die erwartete Kohlenstoffaufnahme der Vegetation deutlich reduziert. Diese Erkenntnisse betreffen nicht nur die reine Modelloptimierung, sondern haben direkte Auswirkungen auf die Abschätzungen der terrestrischen Kohlenstoffsenke, die Gestaltung von Klimaschutzpolitiken und die Priorisierung von Maßnahmen im Landmanagement. Indem die Diskrepanz zwischen Modellannahmen und empirischen Messungen sichtbar wird, wird klarer, wo Unsicherheiten liegen und welche Daten vorrangig verbessert werden sollten, etwa Beobachtungsdaten zur biologischen Stickstofffixierung, Langzeit‑Feldmessungen und regionale Inventare der Nährstoffflüsse.

Why nitrogen limits plant CO2 uptake

Pflanzen benötigen mehr als Kohlendioxid zum Wachsen. Stickstoff ist ein entscheidendes Nährstoffelement, das von Bodenmikroben in pflanzenverfügbare Formen umgewandelt werden muss, ein Prozess, der als biologische Stickstofffixierung bezeichnet wird. Ohne ausreichend verfügbaren Stickstoff können Blätter nicht die Proteine und Enzyme aufbauen, die für schnelleres Wachstum nötig sind, und das zusätzliche CO2 in der Luft führt nicht zu einer proportional höheren Kohlenstoffaufnahme. Zudem interagiert Stickstoffverfügbarkeit mit weiteren Faktoren wie Wasserversorgung, Phosphorverfügbarkeit, Bodentextur und Pflanzenfunctionaltypen; ein Überschuss an CO2 kann nur dann in zusätzliche Biomasse umgewandelt werden, wenn das Nährstoff‑ und Wasserangebot dies zulässt. Daher ist die Rolle der biologischen Stickstofffixierung als Schlüsselfaktor für die CO2‑Düngung zentral: Sie bestimmt, ob Ökosysteme als wirksame Kohlenstoffsenken fungieren oder ob das Potenzial der terrestrischen Vegetation begrenzt bleibt.

Forscher, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Graz, stellten fest, dass frühere Annahmen über das Ausmaß der natürlichen Stickstofffixierung zu hoch waren. In landwirtschaftlich genutzten Landschaften ist die biologische Stickstofffixierung tatsächlich gestiegen — um etwa 75 Prozent in den letzten zwei Jahrzehnten — doch auf natürlichen Flächen überschätzen Modelle weiterhin die Fixierungsraten. Diese Diskrepanz ist bedeutsam, weil Erdsystemmodelle (ESMs) den Stickstoffkreislauf einbeziehen, wenn sie Vegetationswachstum und Kohlenstoffspeicherung projizieren. Die Ursachen für die Überschätzung sind vielschichtig: Sie reichen von vereinfachten Darstellungen mikrobieller Prozesse über mangelnde räumliche Auflösung bis hin zu unzureichenden Daten zu ökologischen Rückkopplungen und Landnutzungsänderungen. Für eine verlässliche Quantifizierung der terrestrischen Kohlenstoffsenke ist es deshalb notwendig, die biogeochemischen Prozesse realistischer abzubilden und unterschiedliche Ökosystemtypen, Erosionsdynamiken sowie anthropogene Einflüsse differenzierter zu modellieren.

What the new study changed in models

Eine gemeinsame Studie unter Leitung von Sian Kou‑Giesbrecht an der Simon Fraser University, veröffentlicht in PNAS, verglich aktuelle empirische Schätzungen der biologischen Stickstofffixierung mit den in mehreren weit verbreiteten Erdsystemmodellen verwendeten Werten. Das Team, dem auch Bettina Weber von der Universität Graz angehörte, kam zu dem Schluss, dass Modelle die Stickstofffixierung auf natürlichen Flächen um etwa 50 Prozent überschätzen. Die Studie stützt sich auf eine Kombination aus Feldmessdaten, Meta‑Analysen und regional skalierten Inventaren, um realistische Schätzungen der Fixierungsraten abzuleiten. Indem die Autoren die in den ESMs verwendeten Eingangsgrößen durch empirisch gestützte Werte ersetzten, konnten sie die Sensitivität der Modellprognosen gegenüber Stickstoffannahmen direkt quantifizieren.

Diese Überschätzung wirkt sich durch die Modellprognosen aus: Wenn die Stickstoffzufuhr geringer ist als angenommen, schrumpft der CO2‑Düngungseffekt. Die Analyse in PNAS schätzt, dass eine Korrektur der Stickstoffannahmen den Düngungsvorteil um etwa 11 Prozent reduziert. Praktisch bedeutet dies, dass Ökosysteme wahrscheinlich weniger CO2 aus der Atmosphäre entfernen werden als einige aktuelle Modellprojektionen annehmen. Auf globaler Ebene kann eine solche Differenz die Zeitfenster und die Intensität der notwendigen Emissionsreduktionen verändern, weil die natürliche Pufferwirkung der Biosphäre geringer ausfällt. Darüber hinaus beeinflussen korrigierte Stickstoffannahmen Abschätzungen der Netto‑Null‑Zeitpunkte, Kohlenstoffbudgets für bestimmte Erwärmungsziele (z. B. 1,5 °C oder 2 °C) und die Verteilung von Minderungsaufgaben zwischen Sektoren und Regionen.

Darüber hinaus gibt es weitere Folgewirkungen. Der Stickstoffkreislauf erzeugt reaktive Gase wie Stickstoffoxide (NOx) und Distickstoffoxid (N2O). Änderungen in der Fixierung und in den anschließenden chemischen Umwandlungen im Boden beeinflussen die Flüsse dieser Gase, was wiederum direkte Auswirkungen auf die atmosphärische Chemie und die Klimawirkung haben kann. Besonders kritisch ist N2O, ein starkes Treibhausgas mit einem globalen Erwärmungspotenzial, das pro Molekül deutlich größer ist als das von CO2, sowie seine Rolle bei der Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht. Änderungen in der Landnutzung, Düngemitteleinsatz und Bodenfeuchte können zusammen mit geänderten Fixierungsraten die Emissionspfade von N2O und NOx stark modulieren, was zusätzliche Unsicherheiten für Klimamodelle und Luftqualitätsabschätzungen einführt.

Implications for climate projections and policy

Erdsystemmodelle sind zentrale Werkzeuge für Klimaabschätzungen und die Klimapolitik. Die Überarbeitung der Stickstoffeingaben verbessert die Realitätsnähe der Projektionen des Kohlenstoffkreislaufs und trägt dazu bei, die Unsicherheit hinsichtlich künftiger atmosphärischer CO2‑Pfade einzugrenzen. Sie macht auch die Grenzen deutlich, die das Vertrauen allein auf die natürlichen Senken hat: Wenn Ökosysteme weniger Kohlenstoff speichern als erwartet, müssen Minderungsstrategien dies durch schnellere Emissionssenkungen und gezielte Landnutzungsmaßnahmen ausgleichen. Politische Entscheidungsprozesse, von nationalen Klimaplänen (NDCs) bis zu globalen Emissionsbudgets, sollten diese überarbeiteten Einschätzungen berücksichtigen, um die Robustheit von Klimazielen und Anpassungsstrategien zu erhöhen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern Modellierer auf, aktualisierte empirische Daten zur biologischen Stickstofffixierung zu integrieren und besser darzustellen, wie Landnutzung und Landwirtschaft die Stickstoffflüsse verändern. Wie Bettina Weber zusammenfasst: Genauere Stickstoffkreisläufe in ESMs sind entscheidend, nicht nur für die Kohlenstoffbilanzen, sondern auch deshalb, weil veränderte Stickstoffwege die Emissionen von N2O, einem starken Treibhausgas, erhöhen können. Darüber hinaus empfehlen Experten, Wechselwirkungen mit weiteren biogeochemischen Kreisläufen — etwa Phosphor und Kohlenstoff — sowie mit ökologischen Prozessen wie Sukzession, Störungen (Feuer, Insekten) und Managementmaßnahmen (Aufforstung, Wiedervernässung von Mooren) systematisch zu berücksichtigen. Auf politischer Ebene bedeutet dies, dass Maßnahmenpakete zur Emissionsminderung verstärkt integrativ gestaltet werden müssen: Emissionsreduktionen im Energiesektor, nachhaltige Agrarpolitik, gezielte Förderung regenerativer Landbewirtschaftung und Monitoringprogramme sind gemeinsam erforderlich, um sowohl CO2‑ als auch N‑bezogene Klimarisiken zu adressieren.

Expert Insight

„Unsere Modelle sind nur so gut wie die Prozesse, die sie abbilden,“ sagt Dr. Elena Márquez, eine fiktive terrestrische Ökologin mit Erfahrung in Kohlenstoff‑Stickstoff‑Modellierung. „Die Aktualisierung der Raten der Stickstofffixierung verfeinert Projektionen und hilft Entscheidungsträgern zu erkennen, wo die Pufferkapazität der Natur endet und wo menschliches Klimaschutzhandeln beginnen muss.“ Dieser Hinweis betont die Rolle von Modellvalidierung und der kontinuierlichen Integration von Feld‑ und Fernerkundungsdaten in die Modellentwicklung. Nur durch enge Verzahnung von Beobachtung, Experimenten und Modellierung lassen sich persistente Biases reduzieren und detailliertere, regional relevante Projektionen erstellen.

Die Anpassung der Erdsystemmodelle an eine geringere natürliche Stickstoffverfügbarkeit wird Klimavorhersagen schärfen und Politik, Landmanagement und Erwartungen an die terrestrische Kohlenstoffsenke besser informieren. Langfristig bedeutet dies, dass neben technologischen und politischen Maßnahmen auch integrative Strategien zur Boden‑ und Nährstoffbewirtschaftung wichtiger werden, um die Klimaziele zu erreichen und unbeabsichtigte Emissionen von N2O zu vermeiden. Wichtige Handlungsempfehlungen umfassen den Ausbau von Langzeitbeobachtungsnetzen für Stickstoffflüsse, die Förderung nachhaltiger Düngung und Agroforstsysteme, sowie Investitionen in Modelle, die lokale Landnutzungsdaten und sozioökonomische Szenarien realistischer einbinden. Nur so können die tatsächlichen Kapazitäten von Ökosystemen zur Kohlenstoffaufnahme robust abgeschätzt und als verlässliche Basis für Klimaentscheidungen genutzt werden.

Quelle: scitechdaily

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