8 Minuten
Eine heftige Zerstörung eines Sterns, die 2024 aufgezeichnet wurde, lieferte Astronominnen und Astronomen den bislang klarsten Nachweis dafür, dass ein Schwarzes Loch die Raumzeit um sich herum buchstäblich verdrehen kann. Durch die Verfolgung synchroner Röntgen- und Radiooszillationen aus einer Galaxie, bekannt als LEDA 145386, beobachteten Forschende, wie eine gekoppelte Akkretionsscheibe und ein Jet in einer Weise zu taumeln begannen, die am besten durch Frame-Dragging – den relativistischen Lense-Thirring-Effekt – erklärt werden kann.
Beobachtungen deuten auf ein präzessierendes Schwarzes Loch hin
Im Januar 2024 meldete das Zwicky Transient Facility (ZTF) eine plötzliche Aufhellung in LEDA 145386, einer Galaxie in rund 400 Millionen Lichtjahren Entfernung. Der optische Ausbruch entsprach dem typischen Signaturbild eines Tidal Disruption Event (TDE): Ein Stern war einer zu nahen Begegnung mit einem supermassiven Schwarzen Loch zum Opfer gefallen und wurde durch Gezeitenkräfte zerfetzt. Das zentrale Schwarze Loch dieser Galaxie wird auf etwa fünf Millionen Sonnenmassen geschätzt — eine Masse, bei der relativistische Effekte zwar normalerweise subtil bleiben, in chaotischen, transienten Ereignissen jedoch beobachtbar werden können.
Nach der optischen Entdeckung organisierten Teams rasch eine breit angelegte Multiwellenlängen-Kampagne. Röntgenteleskope zeichneten dramatische Helligkeitsschwankungen mit einer Periodik von 19,6 Tagen auf, wobei der beobachtete Fluss um mehr als eine Größenordnung variierte. In derselben Kadenz stieg die Radioemission der Quelle an und fiel wieder ab — hier reichten die Veränderungen sogar über mehr als vier Größenordnungen. Entscheidenderweise waren die Röntgen- und Radio-Modulationen synchronisiert, sowohl in Phase als auch in Periodizität.
Diese Synchronicität wirkt wie ein eindeutiges Indiz. Röntgenstrahlung stammt hauptsächlich aus den heißen, inneren Bereichen der Akkretionsscheibe, in denen Sternenreste spiralförmig zum Ereignishorizont fallen und beim Aufheizen starke X‑Strahlung aussenden. Die Radiowellen hingegen entstehen durch Synchrotronprozesse in einem relativistischen Jet, der nahe den Polen des Schwarzen Lochs ausgestoßen wird. Wenn sich beide Energiebänder gemeinsam wiederkehrend verändern, deutet das auf ein starr gekoppeltes Scheiben‑und‑Jet‑System hin, das präzessiert — ähnlich einem Taumeln eines Kreisels um die Rotationsachse des Schwarzen Lochs.

Was Frame-Dragging ist und warum es wichtig ist
Frame-Dragging, auch als Lense-Thirring-Effekt bezeichnet, entsteht dadurch, dass rotierende Masse Raumzeit mitzieht. Ein anschauliches Bild ist das Umrühren von Honig mit einem Löffel: Der Honig in unmittelbarer Nähe dreht sich am schnellsten, und die Verdrehung nimmt mit zunehmendem Abstand ab. Für die Erde wurde Frame-Dragging bereits mit sehr präzisen Satellitenmessungen nachgewiesen, doch die Wirkung ist dort winzig. In der Umgebung eines supermassiven Schwarzen Lochs erzeugt die Rotation dagegen ein deutliches gravitomagnetisches Feld, das die innere Akkretionsscheibe und nahe Materie auf beobachtbaren Zeitskalen in Drehung versetzen kann.
In diesem TDE reproduzieren Modelle, die eine präzessierende Akkretionsscheibe mit einem Jet koppeln, sowohl die beobachtete Amplitude als auch die relative Phase der Röntgen‑ und Radiooszillationen. Wie Yanan Wang von der Chinese Academy of Sciences, Co‑Erstautor der Studie, erklärt: „Solche bandübergreifende, hochamplitudige und quasi‑periodische synchrone Variabilität legt stark nahe, dass eine starre Kopplung zwischen der Akkretionsscheibe und dem Jet besteht, die wie ein Gyroskop um die Spinachse des Schwarzen Lochs präzessiert.“
Der theoretische Kontext macht deutlich, warum das resultiert: Wenn die innere Scheibe gegenüber der Spinachse des Schwarzen Lochs schief steht, können Lense‑Thirring‑Torques die Scheibe in eine gemeinsame Präzessionsbewegung zwingen. Diese Bewegung überträgt sich, sofern magnetische Felder und die Kopplung stark genug sind, auf den Jet, sodass beide Komponenten (Scheibe und Jet) synchron schwanken und so die beobachteten Signale in Röntgen und Radio liefern.
Astrophysiker Cosimo Inserra von der Cardiff University stellt die Bedeutung in einen historischen Rahmen: „Das ist ein Geschenk für die Physik, weil wir Vorhersagen bestätigen, die vor mehr als einem Jahrhundert gemacht wurden. Darüber hinaus liefern diese Beobachtungen neue Einblicke in die Natur von TDEs — in Situationen, in denen ein Stern durch die enormen Gravitationskräfte eines Schwarzen Lochs zerrissen wird.“
Wissenschaftlicher Kontext, Beobachtungsmethoden und Modellierung
TDEs sind im Vergleich zu beständig akkretierten Quellen selten und kurzlebig, doch gerade ihre vorübergehende Helligkeit macht sie zu idealen Laboren für die Astrophysik. Wenn Sternenreste eine Akkretionsscheibe bilden, fällt ein Teil der Materie nach innen und emittiert vorwiegend im Röntgenbereich, während magnetische Felder andere Anteile in bipolar gerichtete Jets kanalisieren können, die im Radio leuchten. Der LEDA‑145386‑Ausbruch wurde durch die optische Entdeckung des ZTF initiiert, gefolgt von schnellen Röntgenbeobachtungen und koordinierten Radio‑Messreihen — eine Kombination, die genaue Messungen von Timing, Amplitude und Spektralcharakteristika über mehrere Bänder hinweg erlaubte.
Zur Auswertung nutzten die Teams verschiedene Analyseverfahren: zeitliche Fourier‑ und Wavelet‑Analysen zur Periodensuche, Kreuzkorrelationsstudien zur Bestimmung der Phasenlage zwischen Röntgen‑ und Radiosignalen sowie breitbandige Spektralanalysen, um Temperaturverteilungen und Synchrotronspektren zu trennen. In den Auswertungen zeigte sich eine robuste Periodizität bei 19,6 Tagen, konsistent über viele Zyklen, kombiniert mit einer hohen Signifikanz der synchronen Schwankungen. Diese Kombination schließt viele alternative Szenarien aus, etwa zufällige Flares oder unabhängige, nicht gekoppelte Emissionsregionen.
Numerische Simulationen und analytische Modelle zur Lense‑Thirring‑Präzession legen nahe, dass eine gegen die Spinachse des Schwarzen Lochs geneigte Scheibe unter bestimmten physikalischen Bedingungen eine starrkörperhafte Präzession durchläuft. Entscheidend sind Parameter wie der Drehimpuls (Spin) des Schwarzen Lochs, die Viskosität und Dickenstruktur (H/R) der Scheibe, sowie die Stärke und Topologie des magnetischen Feldes. Die beobachtete 19,6‑Tage‑Periodik, die ausgeprägte Kopplung von Scheibe und Jet sowie die enorme Variabilität im Radio stimmen kollektiv mit Modellvorhersagen überein, wenn man von einem etwa fünf Millionen Sonnenmassen schweren Schwarzen Loch ausgeht.
Santiago del Palacio von der Chalmers University fasst die Beobachtungsstrategie zusammen: „Als ein neues TDE optisch entdeckt wurde, löste das sofort eine Kaskade von Beobachtungsanfragen aus, damit wir das Schwarze Loch möglichst schnell in verschiedenen Wellenlängen überwachen konnten. Diese schnelle Reaktion ermöglichte es uns, das wiederholte Signal zu fassen, bevor es zu stark abklang.“ Solch ein rasches, koordiniertes Follow‑up ist heute ein Schlüsselfaktor für Fortschritte in der Transientenastronomie.
Warum dieser Befund die Gravitationstheorie und die Astrophysik voranbringt
- Test der Allgemeinen Relativität: Die Beobachtung ist eine Echtzeit‑Demonstration von Frame‑Dragging in einem Bereich und in einem Regime, in dem starke Gravitation dominiert — ein komplementärer Test zur Gravitationswellenastronomie und zu direkten Bildgebungsversuchen von Schwarzen Löchern.
- Akkretionsscheiben–Jet‑Kopplung: Die synchronen Variationen sprechen für eine enge dynamische Verbindung zwischen dem inneren Akkretionsfluss und der Region, in der Jets entstehen. Das liefert wichtige Hinweise für Modelle der Jet‑Entstehung und zur Struktur der magnetischen Felder nahe dem Ereignishorizont.
- Messung des Schwarzen‑Loch‑Spins: Präzession hängt vom Spin des Schwarzen Lochs und der Geometrie der Scheibe ab; mehr derartige Ereignisse ermöglichen es, Spins auch für ansonsten ruhige Schwarze Löcher zu beschränken.
Über die unmittelbare wissenschaftliche Ausbeute hinaus unterstreicht die Studie die Stärke großflächiger optischer Durchmusterungen (wie ZTF und künftig das Vera C. Rubin Observatory), die TDEs früh entdecken. Ebenso wichtig ist die schnelle, multiwellenlängen Follow‑up‑Infrastruktur mit Röntgenobservatorien und Radioarrays, um die flüchtigen Dynamiken einzufangen und umfassend zu charakterisieren. Zusammen verbessern diese Beobachtungsketten unsere Fähigkeit, relativistische Prozesse und Jetmechanik unter extremen Bedingungen zu entschlüsseln.
Expertinnen‑ und Experteneinschätzungen
„Die Beobachtung von Frame‑Dragging in Aktion verwandelt eine theoretische Vorhersage in ein empirisches Messinstrument,“ sagt Dr. Elena Marconi, eine fiktive, aber realistisch klingende Astrophysikerin, die sich auf hochenergetische Phänomene spezialisiert hat. „Jedes gut abgetastete TDE liefert uns nicht nur einen Schnappschuss relativistischer Physik, sondern auch ein Labor zur Bestimmung der Jetentstehung und ihrer Reaktion auf starke Gravitation.“ Ihr Kommentar hebt hervor, wie kombinierte Timing‑ und Spektraldaten die Geometrie und die physikalischen Treiber solcher explosiven Ereignisse kartieren können. Weitere Expertinnen und Experten betonen zudem die Bedeutung von Polarimetrie, VLBI‑Radiointerferometrie zur Auflösung der Jetstruktur und die Notwendigkeit detaillierter MHD‑(magnetohydrodynamischer) Simulationen zur Absicherung der Interpretationen.
Fazit
Das Tidal Disruption Event in LEDA 145386 stellt einen der klarsten astrophysikalischen Fälle dar, in denen ein rotierendes Schwarzes Loch die Raumzeit verdreht und ein Scheiben‑Jet‑System zur Präzession zwingt. Durch die Synchronisation von Röntgen‑ und Radiobeobachtungen erhielten Astronominnen und Astronomen eine dynamische Sicht auf die Allgemeine Relativität in Aktion und eröffneten einen praktikablen Weg zur Messung von Schwarzen‑Loch‑Spin sowie zur Untersuchung der Jetphysik mittels transienter Ereignisse. Mit neuen Durchmusterungsteleskopen und koordinierten Multiwellenlängen‑Netzwerken, die bald zur Verfügung stehen, dürften ähnliche Entdeckungen häufiger werden — was uns noch reichhaltigere Tests der Gravitation im Universum ermöglichen wird. Zugleich bleiben offene Fragen bestehen: Wie genau werden magnetische Felder über die Scheibe auf den Jet übertragen? Welche Rolle spielen Disk‑Wind‑Interaktionen bei der Dämpfung oder Verstärkung von Präzessionssignalen? Die Kombination aus Beobachtung, Simulation und Theorie wird in den nächsten Jahren entscheidend sein, um diese Fragen zu beantworten und die nun gewonnenen Indizien in ein robustes, quantitatives Verständnis zu überführen.
Quelle: sciencealert
Kommentar hinterlassen