Immunzellen lösen Zuckerhülle ab und fördern Psoriasis

Immunzellen lösen Zuckerhülle ab und fördern Psoriasis

Kommentare

7 Minuten

Forscher haben entdeckt, dass Immunzellen aktiv eine zuckerreiche Oberflächenhülle abstreifen, um aus dem Blut in entzündete Haut zu gelangen — ein feiner molekularer Schalter, der Psoriasis vorantreibt. Diese Erkenntnis verändert das bisherige Verständnis der Immunzellmigration und öffnet neue Wege für Therapien zur Kontrolle von Entzündungen, etwa durch gezielte Modulation der Glykokalyx-Struktur.

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Immunzellen selbst eine zuckerreiche Oberflächenschicht abwerfen, um in entzündete Haut bei Psoriasis einzudringen. Diese Beobachtung verändert länger gehegte Annahmen darüber, wie Immunzellen sich während entzündlicher Erkrankungen verlagern. Der subtile molekulare Wechsel — das Entfernen von Glykane-Motiven aus der Zelloberfläche — trägt zur Verstärkung der Entzündung bei und weist auf einen bislang wenig beachteten Mechanismus hin, der die Entwicklung zukünftiger Behandlungsstrategien beeinflussen könnte.

A sugar coat with a surprising role

Die meisten Zellen, die Blutgefäße auskleiden, sind von einer dichten, gelartigen Schicht umgeben, die als Glykokalyx bezeichnet wird — ein Geflecht aus komplexen Zuckern (Glykanen), die an Proteine und Lipide gebunden sind. Jahrelang konzentrierte sich die Forschung auf den endothelialen Glykokalyx als Regulator von Zellbewegung, vaskulärem Schutz und Signalübertragung. Die aktuelle Studie erweitert dieses Bild: Immunzellen tragen eine eigene Glykokalyx und sind in der Lage, diese aktiv abzuschälen, um aus dem Blutkreislauf auszutreten und ins Gewebe einzudringen. Diese Eigenschaft der Immunzellen ist nicht nur strukturell, sondern funktionell bedeutsam, denn das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Glykane moduliert, wie Zellen mit Adhäsionsmolekülen, Chemokinen und Integrinen interagieren.

Wenn Immunzellen diese Zuckerhülle entfernen, erhöht sich ihre Fähigkeit, sich während einer Entzündungsreaktion durch die Gefäßwand zu quetschen. Dieser Prozess — technisch ein Teil der Extravasation — scheint notwendig, damit Immunzellen infiziertes oder geschädigtes Gewebe erreichen. Bei Psoriasis kann dieser Mechanismus jedoch in die falsche Richtung wirken: Übermäßige Rekrutierung und Verweildauer von Immunzellen in der Haut verstärken chronische Entzündungen und begünstigen die Bildung der charakteristischen schuppigen Plaques. Die Balance zwischen notwendiger Abwehr und pathologischer Gewebeinfiltration hängt demnach auch davon ab, wie und wann die Glykokalyx strukturell verändert wird.

How the study changed the playbook

Die Studie, veröffentlicht in Science Signaling und geleitet von Dr. Amy Saunders (Lancaster University) sowie Dr. Douglas Dyer (University of Manchester) mit Erstautorin Dr. Megan Priestley (jetzt am MIT), nutzte zelluläre und molekulare Assays, um das Remodeling der Glykokalyx auf Immunzellen während entzündlicher Reaktionen zu verfolgen. Mittels Kombinationen aus Durchflusszytometrie mit spezifischen Lektin-Färbungen, Massenspektrometrie zur Glykan-Analyse, Live-Cell-Imaging sowie funktionellen In-vitro-Transmigrationstests konnten die Forschenden zeigen, dass das Abschälen der Glykokalyx kein bloßer Verschleiß ist; vielmehr handelt es sich um einen regulierten Schritt, der steuert, wie Immunzellen auf Entzündungssignale reagieren und in Gewebe wie die Haut migrieren.

Die Autorinnen und Autoren dokumentierten dabei molekulare Veränderungen auf der Zelloberfläche — etwa eine Verringerung von Sialinsäure- und Heparansulfat-Motiven — die den Zugang zu Adhäsionsrezeptoren wie Integrinen erleichtern. In Versuchen mit Blockern von spezifischen Enzymen, die Glykane abtrennen (z. B. Sialidasen oder Heparanasen), und mit genetischen Modellen zeigte das Team, dass die Hemmung dieses Schälprozesses die Transmigration limitieren kann. Solche Befunde deuten darauf hin, dass gezielte Eingriffe in die Glykokalyx-Dynamik potenziell therapeutisch nutzbar sind.

"Es ist außerordentlich spannend zu entdecken, wie wichtig die Glykokalyx-Schicht auf Immunzellen ist", sagte Dr. Saunders und betonte, dass die Identifikation dieses Verhaltens einen Teil der bisherigen Erzählung über Immunzellmigration neu schreibt. Dr. Dyer hob hervor, dass kollaborative Ansätze entscheidend waren, um die Komplexität der Zellrekrutierung in entzündlichen Erkrankungen neu zu definieren. Dr. Priestley wies darauf hin, dass das Projekt Zuckerstrukturen in der Immunregulation in den Mittelpunkt rückt und damit weniger beachtete molekulare Determinanten von Entzündung sichtbar macht.

Dr. Amy Saunders. Credit: Lancaster University

Implications for psoriasis and beyond

Das Verständnis des Abschälens der Glykokalyx erweitert die therapeutischen Möglichkeiten für entzündliche Erkrankungen insgesamt. Viele aktuelle entzündungshemmende Medikamente zielen auf Signalwege (z. B. Zytokine wie IL-17, IL-23) oder die generelle Aktivierung von Immunzellen ab. Die Modulation des physischen Prozesses der Glykokalyx-Entfernung — zum Beispiel durch Hemmung spezifischer Enzyme, die Oberflächen-Glykane kappen, oder durch Stabilisierung der Glykokalyx — könnte schädliche Immuninfiltrate verringern, ohne das Immunsystem global zu schwächen. Das wäre besonders relevant bei chronischen Hauterkrankungen wie Psoriasis, bei denen lokale Kontrolle von Zellmigration die Entzündung dämpfen könnte, während Schutzfunktionen gegen Krankheitserreger erhalten bleiben.

Die Entwicklung von Wirkstoffen, die die Bewegung von Immunzellen zwischen Blut und Gewebe beeinflussen, könnte nicht nur Infektionen besser behandelbar machen, sondern vor allem verhindern, dass Immunantworten gesundes Gewebe dauerhaft schädigen. Darüber hinaus identifiziert die Studie Glykane als potenzielle Biomarker: Veränderungen in der Zusammensetzung oder Dichte der Zuckerhülle könnten helfen, Schübe vorherzusagen, Therapiewirkungen zu überwachen oder Patientenstratifizierung in klinischen Studien zu verbessern. Solche Biomarker-Werkzeuge wären in der Dermatologie, aber auch in Rheumatologie und anderen Bereichen chronischer Entzündung wertvoll.

Technisch gesehen erlaubt die Fokussierung auf die Glykokalyx unterschiedliche Interventionsstrategien: systemische Enzymhemmer, lokal wirkende Stabilisatoren der Matrix, Antikörper gegen bestimmte Glykoprotein-Konfigurationen oder nanopartikelgestützte Lieferkonzepte, die Wirkstoffe gezielt zu entzündeten Arealen bringen. Bei allen Ansätzen sind Selektivität und Sicherheit entscheidend, denn eine vollständige Blockade der Extravasation würde die Immunantwort gegen Infektionen schwächen. Daher sprechen die Ergebnisse für feingesteuerte, möglicherweise zeitlich begrenzte Modulationen des Zucker-Switches, etwa während akuter Schübe.

Who contributed and what comes next

Neben den leitenden Laboren gehörten zu den Mitwirkenden Dr. Max Nobis (University of Manchester; zuvor VIB-KU Leuven) und Professor Olga Zubkova (Victoria University of Wellington). Das interdisziplinäre Team vereinte Expertise aus Zellbiologie, Glykobiologie, Immunologie und biomedizinischer Bildgebung. Zukünftige Forschung wird notwendig sein, um die molekularen Auslöser zu kartieren, die das Abschälen der Glykokalyx initiieren — etwa welche Signalketten, Proteasen oder mikrobiellen Trigger diese Reaktion anstoßen — und zu prüfen, ob vergleichbare Mechanismen in anderen entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, entzündlichen Darmerkrankungen oder Asthma eine Rolle spielen.

Weitere Schritte umfassen präklinische Tests in Tiermodellen, detaillierte Analysen menschlicher Biopsien aus Patienten mit aktiver Psoriasis, und die Prüfung sicherer pharmakologischer Interventionen, die diesen Prozess beeinflussen. Klinische Übersetzungen könnten sich zeitnah auf lokale Behandlungen konzentrieren, etwa topische Formulierungen oder lokal applizierbare Inhibitoren, bevor systemische Strategien entwickelt werden, um unerwünschte Effekte auf die systemische Immunabwehr zu vermeiden.

Für Patientinnen und Patienten sowie Klinikteams ist die praktische Erkenntnis klar: Kleine, oft übersehene Zuckerstrukturen auf Immunzellen können die Richtung und Intensität von Entzündungsreaktionen steuern. Die gezielte Beeinflussung dieses Zucker-Switches bietet eine neue Strategie, um übermäßigen Immunverkehr in Gewebe zu drosseln und gleichzeitig die Fähigkeit des Körpers zu erhalten, Infektionen zu bekämpfen. Langfristig könnten diagnostische Tests für Glykokalyx-Veränderungen helfen, Therapien zu personalisieren und Nebenwirkungen zu minimieren.

Quelle: scitechdaily

Kommentar hinterlassen

Kommentare