Amazonas-Seen heizen auf: Massentod durch Dürrehitze

Amazonas-Seen heizen auf: Massentod durch Dürrehitze

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Während der schweren Dürre 2023 erwärmten sich mehrere Überschwemmungsseen im zentralen Amazonasgebiet Brasiliens auf Temperaturen, die höher lagen als in einem Whirlpool; der Lago Tefé erreichte einen Spitzenwert von 41,0 °C (105,8 °F). Diese extreme Erwärmung löste ein massives Sterben aus: Mehr als 200 Delfine, Tausende von Fischen und unzählige weitere Süßwasserorganismen gingen zugrunde. Forschende werten das Ereignis als ein eindrückliches Beispiel dafür, wie der Klimawandel Süßwasserökosysteme verändert und das ökologische Gleichgewicht in Fluss- und Auenlandschaften dramatisch verschoben wird. Die Kombination aus außergewöhnlicher Hitze, veränderter Hydrologie und verschlechterter Wasserqualität führte nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen, sondern hat auch längerfristige Folgen für Nahrungsnetze, Artenvielfalt und die Lebensgrundlagen lokaler Gemeinden, die von Fischerei und Flussökosystemdienstleistungen abhängig sind. Die Beobachtungen aus dem zentralen Amazonas liefern konkrete Hinweise auf die Vulnerabilität von tropischen Binnengewässern gegenüber sich verändernden klimatischen Bedingungen und zeigen, wie lokale Extremereignisse durch globale Prozesse verstärkt werden können.

Wie ein Amazonassee zum Ofen wurde

Untersuchende des brasilianischen Mamirauá-Instituts für Nachhaltige Entwicklung, zu deren Team unter anderem der Hydrologe Ayan Fleischmann gehörte, kombinierten Satellitenbeobachtungen mit vor Ort gemessenen Temperaturaufzeichnungen, um den Vorfall zu rekonstruieren. Die Forschenden nutzten ferngestützte Temperatur- und Wolkenbeobachtungen, Daten von in-situ-Temperaturloggern sowie meteorologische Reanalysen, um zeitliche Abläufe und räumliche Muster zu vergleichen. Sie identifizierten eine ungewöhnliche Kombination mehrerer Faktoren: Eine elf Tage andauernde Periode nahezu wolkenfreier Sonneneinstrahlung, sehr geringe Windgeschwindigkeiten, durch die Dürre bedingt außergewöhnlich niedrige Wasserspiegel und stark getrübtes, lichtabsorbierendes Wasser. In solchen Situationen kann die einfallende Sonnenenergie in den flachen, trüben Gewässern nahezu ungehindert aufgenommen werden. Die geringe Windenergie verhindert die Durchmischung der Wassersäule, sodass thermische Schichtung und Hitzeakkumulation in der Oberflächenschicht begünstigt werden. Diese physikalischen Prozesse führten dazu, dass die Seen deutlich über ihre typischen Temperaturrange hinaus erwärmten und lokale Bedingungen schufen, die für viele aquatische Arten tödlich waren. Die Kombination aus hydrologischer Dürre und meteorologischer Extremwetterlage machte den Prozess besonders heftig und zeigte deutlich, wie lokale und großräumige Faktoren zusammentreffen können, um extreme Umweltbedingungen zu erzeugen.

Ortsansässige Fischer und Feldhelfer legen einen gefangenen Amazonas-Flussdelfin auf eine Trage im Lago Amana, in der Nähe von Tefé, Amazonas, Brasilien, am 25. September 2025

Thermische Belastung und biologischer Kollaps

Temperaturaufzeichnungen aus zehn Überschwemmungsseen zeigten alarmierende Spitzenwerte: In fünf Seen wurden Werte über 37 °C gemessen, und der Lago Tefé erreichte mindestens 41,0 °C. Doch die Forschenden betonen, dass nicht nur das Erreichen von Höchsttemperaturen relevant war. Schnelle Temperaturschwankungen von bis zu 13 °C über kurze Zeitspannen übten zusätzlichen akuten thermischen Stress auf Organismen aus, die evolutionär an deutlich engere Temperaturbereiche angepasst sind. Solche plötzlichen Änderungen stören physiologische Prozesse: enzymatische Reaktionen, Atmung und Osmoregulation funktionieren nur innerhalb enger Temperaturfenster effizient. Bei Fischen etwa können Proteinstrukturen und Enzymaktivitäten durch Hitze so stark beeinträchtigt werden, dass Stoffwechselprozesse kollabieren. Gleichzeitig reduziert warmes Wasser die Löslichkeit von Sauerstoff, wodurch Hypoxie in Oberflächenschichten wahrscheinlicher wird. In Kombination mit möglicher biologischer Anreicherung von Toxinen durch verstärkte Cyanobakterienblüten oder Abbau organischer Substanz verschlechtert sich die Wasserqualität weiter. Die summe dieser Belastungen – direkte Hitzestressoren, Sauerstoffmangel und Nahrungsverlust durch Fischsterben – erklärt das schnelle Ausmaß des Zusammenbruchs in diesen Ökosystemen.

Der Biologe Adalberto Val vom Brasilianischen Institut für Amazonasforschung (INPA) beschrieb den physiologischen Mechanismus anschaulich: „Wenn das Wasser 41 °C erreicht, hören die Fische schlichtweg auf zu funktionieren: Enzyme blockieren, der Stoffwechsel bricht zusammen und die Tiere sterben.“ Für Flussdelfine wie den gefährdeten Amazonas-Stumpfnasenflussdelfin (Inia geoffrensis) und den Tucuxi (Sotalia fluviatilis) wirkten mehrere Stressfaktoren zusammen: der direkte Hitzestress, der Verlust von Beutetieren durch Fischsterben, reduzierte Wasserqualität und mögliche Verarmung der Sauerstoffversorgung an der Oberfläche. Diese Kombination führte zu einer erhöhten Sterblichkeit, die in sehr kurzer Zeit große Populationsteile traf. Zusätzlich können veränderte Wasserstände und verschmutzte Auenhabitate die Erholung der Populationen weiter behindern, da wichtige Laich- und Aufzuchtgebiete verloren gehen oder nicht mehr nutzbar sind.

Ein toter Tucuxi-Delfin im Lago Tefé, 2023

Klima-Treiber: El Niño, Ozeanerwärmung und lokale Bedingungen

Die Forschenden verknüpfen das Ereignis mit größeren klimatischen Dynamiken. Eine weitflächige Erwärmung der Ozeane, insbesondere des Nordatlantiks, in Kombination mit einem moderaten bis starken El-Niño-Ereignis verstärkte die Dürrebedingungen in Teilen des Amazonasbeckens. Solche Ozean-Atmosphäre-Wechselwirkungen verändern großräumig die atmosphärischen Zirkulationsmuster, reduzieren die Niederschlagsmenge und beeinflussen die Feuchtezufuhr aus dem Atlantik. Mit weniger Wasser in der Überschwemmungszone und klareren Himmelsschichten nahm die Sonneneinstrahlung auf die flachen Gewässer zu, wodurch die Oberflächentemperaturen stärker anstiegen. Die Forschenden weisen darauf hin, dass die beispiellose Intensität der Dürre in Einklang mit den Erwartungen für einen sich erwärmenden Planeten steht: Wärmere Ozeane liefern mehr Energiereservoir für atmosphärische Fernwirkungen, und die Häufigkeit von extremen Trockenphasen kann durch die globale Erwärmung zunehmen. Lokal führten die niedrigen Wasserstände zudem zu einer Zunahme turbider Bedingungen in einigen Seen, weil Sedimente aufgewirbelt und konzentriert wurden, was die Lichtabsorption und die Erwärmung weiter verstärkte. Gekoppelt mit schwachen Winden erhöhte dies die Wahrscheinlichkeit, dass die Oberflächenschichten über Tage hinweg stark aufheizen konnten.

Breitere Trends und langfristige Erwärmung

Besorgniserregend sind die langfristigen Messreihen: Analysen deuten auf einen durchschnittlichen Anstieg der Temperaturen von Überschwemmungsseen im zentralen Amazonas von etwa 0,6 °C pro Jahrzehnt seit 1990 hin. Dieser Trend spiegelt eine sukzessive Erwärmung wider, die die Basisbedingungen für extreme Ereignisse verändert und die Wahrscheinlichkeit für Ausreißer nach oben erhöht. „Der Klima-Notstand ist da, darüber besteht kein Zweifel“, sagte Fleischmann gegenüber AFP während der Untersuchungen an den Seen. Der Ökologe Adrian Barnett von der University of Greenwich, der nicht an der Studie beteiligt war, ergänzte mit Blick auf die Energiemengen: „Ein Temperaturanstieg von 10 °C im Wasser ist beispiellos. Die Energiemenge, die nötig ist, um so große Wassermengen auf solche Werte zu bringen, ist atemberaubend.“ Technisch betrachtet bedeutet dies, dass steigende atmosphärische Temperaturen, veränderte Meeresoberflächentemperaturen und veränderte Niederschlagsmuster zusammenwirken, um die Energiebilanz an der Wasseroberfläche zu verschieben. Langfristig erhöhen sich dadurch nicht nur die monatlichen Mittelwerte, sondern auch die Varianz und die Wahrscheinlichkeit für extreme thermische Ereignisse, die Ökosysteme destabilisieren können. Für Forscherinnen und Ressourcenschutzbehörden bedeutet dies, dass Monitoring-Netze ausgebaut und langfristige Datensätze gepflegt werden müssen, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und Anpassungsmaßnahmen zu planen.

Ökologische und menschliche Folgen

Innerhalb einer Woche meldete der World Wildlife Fund (WWF) einen geschätzten Verlust von rund 10 Prozent der lokalen Flussdelfinbestände, darunter etwa 130 Amazonas-Stumpfnasenflussdelfine und 23 Tucuxis; spätere Zählungen der Kadaver lagen bei annähernd 330. Das Sterben beschränkte sich nicht auf Delfine: Tausende Fische und zahllose Wirbellose und Amphibien starben, wodurch Nahrungsnetze unterbrochen und lokale Fischbestände stark dezimiert wurden. Für Ufergemeinden, die in hohem Maße von Fischerei für Ernährung und Einkommen abhängig sind, hatten diese Verluste schwere soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Fängerrückgänge und der Verlust von wertvollen Arten führen zu Einkommensverlusten, Versorgungslücken und erhöhten Nahrungsmittelunsicherheiten. Darüber hinaus sind kulturelle Werte und traditionelle Kenntnisse betroffen, da viele Gemeinschaften eine enge Beziehung zu Flussfauna und -landschaften pflegen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen, dass viele Süßwassersysteme des Amazonas besonders verwundbar sind, weil sie einen bedeutenden Teil der Oberflächen-Süßwasservorräte der Erde speichern und eine außergewöhnliche Biodiversität tragen. Überschwemmungswälder und Flussauen sind wichtige Brut- und Aufwuchsgebiete für zahlreiche Arten und spielen eine Schlüsselrolle im Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf. John Melack, Ökologe an der UC Santa Barbara, sagte: „Wir sind besorgt, dass diese Bedingungen häufiger werden. Die Konsequenzen für Biodiversität und lokale Gemeinschaften sind tiefgreifend.“ Die Folgen reichen über lokale Sterblichkeiten hinaus und betreffen Ökosystemdienstleistungen wie Wasserreinigung, Fischproduktion, Kohlenstoffspeicherung und kulturelle Werte. Ein anhaltender Trend zu häufiger auftretenden Extremereignissen könnte zu dauerhaften Verschiebungen von Artenzusammensetzungen führen, invasive oder hitze-tolerante Arten begünstigen und die regenerative Kapazität ganzer Auenlandschaften reduzieren.

Was das für Naturschutz und Klimapolitik bedeutet

Die Autorinnen und Autoren der Studie betonen die Grenzen rein regionaler Reaktionen: Lokale Notfallmaßnahmen, Wiederaufforstungsprojekte, Schutzgebiete und gezielte Naturschutzaktivitäten können akute Schäden mildern und Wiederherstellungsprozesse unterstützen, doch um künftige Massentode zu verhindern, sind globale Reduktionen der Treibhausgasemissionen notwendig. Die Abfolge der Treiber, die zur Überhitzung der Amazonasseen führte – Ozeanerwärmung, El Niño-Ereignisse und langfristige Klimaerwärmung – unterstreicht, dass viele Veränderungen auf Ökosystemebene an planetare Antriebe gekoppelt sind. Gleichzeitig zeigen die Befunde die Notwendigkeit integrierter Strategien: Anpassungsmaßnahmen wie verbessertes Wasserressourcenmanagement, Ausbau lokaler Frühwarnsysteme, langfristige hydrologische Überwachung, die Schaffung von Rückzugs- und Refugialgebieten für Arten und soziale Schutzmechanismen für betroffene Gemeinden sind wichtige Bausteine. Forschungsergebnisse, die in renommierten Fachzeitschriften wie Science veröffentlicht wurden, fügen sich in eine wachsende Dokumentation klimatologisch getriebener Massenssterben weltweit, von Korallenriffen bis zu terrestrischen Säugetierpopulationen. Wenn die derzeitigen Erwärmungspfade anhalten, warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor häufiger auftretenden und ausgeprägteren Ökosystemkollapsen, die weitreichende biologische, soziale und ökonomische Konsequenzen haben würden.

Fachliche Einschätzung

Dr. Maria Ortega, eine Süßwasserökologin mit Erfahrung in tropischen Ökosystemen, kommentierte: „Diese Ereignisse sind ein Weckruf. Die Physiologie aquatischer Arten ist sehr fein auf historische Temperaturspektren abgestimmt. Schnelle Erwärmungsepisoden verdichten die Überlebensfenster so stark, dass ganze Gemeinschaften innerhalb weniger Tage kollabieren können.“ Ortega betont die Notwendigkeit kombinierten Handelns: aggressive Emissionsreduktionen auf globaler Ebene müssen mit lokalen Maßnahmen verzahnt werden, die Wasserstände stabilisieren, Habitatkomplexität erhalten und die Resilienz ganzer Auenlandschaften stärken. Zu den lokalen Strategien gehören unter anderem der Schutz und die Wiederherstellung von Überschwemmungsflächen, die Reduzierung von punktuellen Verschmutzungsquellen, adaptive Bewirtschaftung der Fischbestände, Community-basierte Überwachungsnetzwerke sowie Bildung und Kapazitätsaufbau in betroffenen Gemeinden. Für Wissenschaft und Politik bedeutet dies, dass Forschung, Monitoring und partizipative Anpassungsmaßnahmen Hand in Hand gehen müssen, um sowohl akute Schäden zu bewältigen als auch langfristige Risiken zu reduzieren.

Quelle: sciencealert

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