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Rotes Meer: dramatische Austrocknung und plötzliche Wiederbelebung
Neue Forschung unter Leitung von Wissenschaftlern der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) zeigt, dass das Rote Meer vor etwa 6,2 Millionen Jahren vollständig ausgetrocknet war und später durch eine katastrophale Flut vom Indischen Ozean wieder aufgefüllt wurde. Die Studie kombiniert geophysikalische, paläontologische und geochemische Daten und liefert damit eine der detailliertesten Rekonstruktionen dieser extremen Umweltveränderung der Erdgeschichte.
Die Untersuchung belegt, dass die Phase des Austrocknens und die Rückkehr zu normalen marinen Bedingungen in einem geologisch sehr kurzen Zeitrahmen stattfanden — weniger als 100.000 Jahre. Laut der Projektleiterin Dr. Tihana Pensa (KAUST) dokumentiert das Becken damit einen der dramatischsten ökologischen Umschwünge: ein einst durchfahrener Meeresarm verwandelte sich in eine salzverkrustete Wüstenfläche und kehrte schließlich zu offenen marinen Verhältnissen zurück. Solch rasche Übergänge sind entscheidend, um die Geschwindigkeit biologischer Erholung, Sedimentbildungsprozesse und die Rolle tektonischer Barrieren bei Meeresverbindungen zu verstehen.
Die Ergebnisse haben breitere Relevanz: Sie erweitern unser Verständnis von Regionen mit eingeschränkter Zirkulation, erklären Mechanismen der Akkumulation mächtiger Evaporitfolgen und liefern Analogien für andere Riftbecken, in denen tektonischer Verschluss und Klima gemeinsam extreme marine Bedingungen erzeugen können.

Belege und Methoden
Die multidisziplinäre Studie vereinte drei zentrale Datensätze, um ein konsistentes Bild der Ereignisse zu zeichnen: seismische Bildgebung zur Erfassung der Bodentopographie und Sedimentarchitektur, mikropaläontologische Untersuchungen zur Bestimmung von Lebensgemeinschaften und Aussterbeereignissen sowie hochpräzise geochemische Datierungen zur zeitlichen Einordnung. Durch die Kombination unabhängiger Methoden konnten Unsicherheiten minimiert und ein robustes, kausal erklärbares Szenario entwickelt werden.
Seismische Abbildungen
Tiefreichende seismische Untersuchungen offenbaren die Architektur des Sedimentbeckens des Roten Meeres und konservierte Strukturen am Meeresboden. Besonders auffällig ist ein 320 Kilometer langer submariner Canyon, der sich in den südlichen Randbereich eingeschnitten hat. Diese Einschnürung deutet auf ein extrem energiereiches Erosionsereignis hin, das mit einer großvolumigen Flut übereinstimmt, welche offenbar vulkanische Barrieren in der Nähe der Hanish-Inseln durchbrach.
Die seismischen Profile zeigen dabei Abfolgen von Schichtpaketen, erosiven Oberflächen und möglichen Massentransporten, die helfen, den zeitlichen Ablauf von Rückgang, Verdunstung und anschließender Vorwärtsströmung zu rekonstruieren. High-resolution multi-channel-seismic-Profile und Sedimentstapel erlauben die Unterscheidung zwischen langsam akkumulierten Evaporiten und abrupten erosiven Ereignissen. Solche architektonischen Details sind wichtig, um die Flutdynamik, Sedimenttransportmechanismen und die daraus resultierende Morphologie zu verstehen.
Zudem ermöglichen seismische Abschirmungen die Identifikation potentieller Entstehungsorte für vulkanische Schwellen und Riftachsen, deren Lage und Ausprägung entscheidend für das Öffnen oder Schließen mariner Verbindungen ist. In Kombination mit Bathymetrie-Daten lassen sich so Modelle entwickeln, die zeigen, wie schnell ein Überlauf oder Durchbruch eine große Menge Wasser in ein flaches Becken transportieren kann.
Mikrofossilien- und Sedimentanalysen
Untersuchungen der Mikrofossilien, insbesondere Foraminiferen und andere planktonische Überreste, dokumentieren eine lange Periode stark reduzierter oder vollständig fehlender mariner Lebensgemeinschaften in Sedimentabschnitten, die grob zwischen 15 und 6 Millionen Jahren datiert sind. Diese Befunde sind konsistent mit einem allmählichen Anstieg der Salinität, lokalem Artensterben und einer Umstellung der ökologischen Verhältnisse. Veränderungen in benthischen Assemblagen, das Vorkommen opportunistischer Arten und das Verschwinden empfindlicher Taxa liefern ein feingliedriges Bild ökologischer Stressphasen.
Über den evaporitischen Schichten tritt dagegen ein plötzlicher Wiederauftreten normalmariner Fossilien auf, was eine rasche Rekolonisation nach der Wiederbeflutung signalisiert. Die Zusammensetzung dieser erneuten Fauna, mögliche Pionierarten sowie Sedimentmuster geben Hinweise auf die Geschwindigkeit des ökologischen Aufbaus und die initialen Folgen für benthische und pelagische Habitate. Detaillierte Analysen von Artenzusammensetzungen, Kotinhalten und Biomarkern helfen, Nahrungsnetzveränderungen und Sukzessionsphasen zu rekonstruieren.
Zusätzlich bieten mikropaläontologische Befunde eine relative Chronologie, die sich gut mit geochemischen Signaturen abgleichen lässt. Evolutionäre Fluktuationen in marinen Gemeinschaften können so mit physikalischen Ereignissen verknüpft werden, etwa mit dem Timing von Sedimentumlagerungen oder der Bildung dicker Evaporitschichten.
Geochemische Altersbestimmung und Salinitätsproxies
Isotopische Datierungen von Sedimenten und geochemische Fingerabdrücke, die Änderungen der Meersalzigkeit nachweisen, ermöglichten es dem Team, das Ereignis auf etwa 6,2 Millionen Jahre zu datieren und die Auffüllzeit auf unter 100.000 Jahre einzugrenzen. Hierzu wurden mehrfach miteinander kombinierte Alterstechniken und geochemische Proxys herangezogen, um relative und absolute Zeitmarker zu korrelieren.
Typische Indikatoren umfassen stabile Isotopenverhältnisse (z. B. δ18O, δ13C), Spuren- und Hauptelementverhältnisse (Mg/Ca, Sr/Ca, Br/Cl-Anteile in Einschlüssen) sowie mineralogische Wechsel (Halit, Gips, Anhydrit). Außerdem können radiometrische Alter aus vulkanischen Ascheschichten (U–Pb, Ar/Ar) oder biostratigraphische Korrelationen zusätzliche Präzision liefern. Solche zusammengeführten Daten erlauben es, sowohl die Phase hoher Salinität als auch die rasche Verdünnung durch Ozeanwasser eindeutig nachzuweisen.
Darüber hinaus liefern Fluidinklusionen in Evaporitmineralen Informationen über frühere Salzkonzentrationen, und organische Biomarker helfen, Änderungen in Primärproduktivität und organischer Zufuhr zu rekonstruieren. Mit diesen Proxies lässt sich nicht nur das Alter, sondern auch die chemische Beschaffenheit der zurückkehrenden Meeresgewässer quantifizieren.
Wie der Indische Ozean das Becken wieder auffüllte
Ursprünglich war das Rote Meer nach Norden hin über einen flachen Schwellenbereich mit dem Mittelmeer verbunden, verlor diese Verbindung jedoch und entwickelte sich zu einem stark verdunstenden, salzreichen Becken. Im Süden trennte eine vulkanische Schwelle nahe den Hanish-Inseln das Becken vom Indischen Ozean. Die neue Rekonstruktion legt nahe, dass Wasser aus dem Indischen Ozean diese vulkanische Barriere entweder überflutete oder lokal durchbrach und in einem katastrophalen Flutereignis in das ausgetrocknete Becken strömte.
Die Flut war offenbar so gewaltig, dass sie den 320 km langen submarinen Canyon ausprägte und die salzverkrusteten Ebenen rasch überschwemmte. Diese plötzliche Wiederherstellung der normalen Meereszirkulation schuf die Voraussetzungen für die Rückkehr mariner Ökosysteme. Solche Prozesse sind vergleichbar mit anderen großen Meeresspülungen in der Erdgeschichte, unterscheiden sich jedoch in Größe, Zeitpunkt und lokalen tektonischen Bedingungen.
Mechanisch sind mehrere Szenarien denkbar: langsames Overtopping, das zunächst Rillen in die Schwelle frisst und schließlich einen Dammbruch verursacht; oder ein einzelner katastrophaler Durchbruch durch tektonische Instabilität, vulkanischen Rückzug oder hydrothermal bedingte Schwächung. Hydraulische Modellierungen, die Volumen, Geschwindigkeit und Sedimenttransport simulieren, sind entscheidend, um zu klären, ob es sich um ein einmaliges Großereignis oder eine Serie von Hochwasserereignissen handelte.
Interessanterweise scheint diese Wiederbeflutung des Roten Meeres der bekannten Zancleischen Wiederverbindung des Mittelmeers durch die Straße von Gibraltar um fast eine Million Jahre vorausgegangen zu sein. Damit nimmt das Rote Meer eine eigenständige Stellung in der globalen Meeresgeschichte ein: Es kann als früheres Beispiel dienen, wie regionale tektonische und vulkanische Barrieren große Auswirkungen auf globale Ozeanzirkulation und chemische Reservoirs haben können.
Geologischer Kontext und Bedeutung
Das Rote Meer ist ein vergleichsweise junges Ozeanbecken, das entstand, als sich die Arabische Platte vor etwa 30 Millionen Jahren von Afrika zu lösen begann. In frühen Entwicklungsphasen bildeten sich Riftseen; vor etwa 23 Millionen Jahren flutete das Becken erstmals von Norden her und nahm Gestalt als breitere Meeresgesteinszone an. Im Mittel- bis Spät-Miozän (etwa 15–6 Millionen Jahre) führten eingeschränkte Wasseraustausche und hohe Verdunstungsraten zur Bildung umfangreicher Evaporitablagerungen (Salze, Gips) und zu lokalen Aussterbeereignissen mariner Faunen.
Die Austrocknung vor 6,2 Millionen Jahren und die nachfolgende Flutung sind deshalb geologisch bedeutsam: Sie zeigen, wie tektonische Prozesse (Riftbildung, vulkanische Schwellen), Meeresspiegeländerungen und regionales Klima zusammenwirken können, um extreme marines Umweltzustände hervorzurufen. Das Rote Meer fungiert damit als natürliches Labor, um zu untersuchen, wie Ozeanbecken entstehen, wie mächtige Evaporitfolgen akkumulieren und wie Ökosysteme nach katastrophalen Umbrüchen wiederhergestellt werden.
Aus wirtschaftlicher und geowissenschaftlicher Sicht sind solche Ablagerungen zudem relevant für die Suche nach Kohlenwasserstoffen und mineralischen Rohstoffen: Evaporitdecken können als wirksame Versiegelungsschichten fungieren, während die sedimentären Abfolgen, Rutschungen und die organische Fracht Hinweise auf potenzielle Lagerstätten geben. Mineralische Ressourcen wie Halit, Gips und eventuell Potasche können in Evaporitbecken wirtschaftlich bedeutsam sein.
Vergleiche mit ähnlichen Ereignissen — etwa der Messinischen Salinitätskrise im westlichen Mittelmeer (vor etwa 5,96–5,33 Mio. Jahren) — zeigen Parallelen, aber auch Unterschiede im Timing, in der räumlichen Ausdehnung und in den spezifischen tektonischen Bedingungen. Solche komparativen Studien helfen, generelle Prinzipien der Beckenentwicklung und spezialisierte lokale Einflüsse zu trennen.
Folgen und künftige Forschung
Die Erkenntnis über dieses schnelle Wiederauffüllungsereignis hat Auswirkungen auf Paläoklimarekonstruktionen, Modelle der Ozeanzirkulation und die Interpretation von Sedimentfolgen, die für die Exploration von Kohlenwasserstoffen und mineralischen Ressourcen wichtig sind. Vor allem die Geschwindigkeit, mit der ein Becken von hypersalinen zu vollmarinen Bedingungen wechseln kann, muss in Modellen berücksichtigt werden.
Zukünftige Arbeiten werden sich auf detailliertere Kernbohrungen, seismische Aufnahmen mit höherer Auflösung und weitere geochemische Proxys konzentrieren, um Volumina und Flussraten genauer zu bestimmen. Langkernbohrungen im IODP-Stil (International Ocean Discovery Program), gekoppelt mit modernsten Analysemethoden wie sedDNA (sedimentäre DNA), Biomarkeranalysen und 3D-Seismik, könnten den Verlauf der ökologischen Erholung und die Geschwindigkeit der Riffbildung fein auflösen.
Außerdem sind numerische Modelle der Hydrodynamik und Erosionsprozesse wesentlich, um Szenarien des Durchbruchs zu testen. Solche Modelle in Verbindung mit Feldbefunden können auch klären, welche Sedimentmengen mobilisiert wurden und welche Rolle diese Sedimente später bei der Bildung von Schlüsselstrukturen im Becken spielten.
„Unsere Ergebnisse erweitern das Verständnis dafür, wie Ozeane geologisch geboren und wiederverbunden werden“, sagte KAUST-Koautor Professor Abdulkader Al Afifi. Die Studie stärkt zugleich die führende Rolle von KAUST in der Forschung am Roten Meer und unterstreicht die Bedeutung des Beckens als Knotenpunkt für die Wechselwirkungen zwischen Tektonik, Klima und Biosphäre. Für Forscher, Planer und Ressourcenexplorer bietet das Projekt eine Fülle neuer, praxisrelevanter Fragestellungen.
Fachliche Einschätzung
Dr. Lara Mitchell, eine nicht an der Studie beteiligte Meeresgeologin, kommentierte: „Die Kombination aus seismischer Architektur und fossilen Belegen liefert ein überzeugendes Bild für eine Flut von hoher Magnitude. Sollte der Canyon wirklich das Ergebnis eines einzigen erosiven Durchbruchs sein, bietet er einen seltenen, direkten Beleg dafür, wie schnell ein marines Becken von hypersalinen zu vollständig marinen Verhältnissen übergehen kann — ein wichtiges Analogon für andere riftbezogene Becken weltweit.“
Weitere unabhängige Bewertungen und zusätzliche Datensätze werden jedoch nötig sein, um verbleibende Unsicherheiten zu reduzieren. Insbesondere sind feinere Altersauflösungen, quantitative Volumenschätzungen und weitergehende paläoökologische Untersuchungen erforderlich, um die Prozesse vollständig zu charakterisieren.
Fazit
Die von KAUST geführte Untersuchung justiert unser Verständnis der Geschichte des Roten Meeres neu: eine komplette Austrocknung gefolgt von einer dramatischen Wiederbeflutung durch indische Ozeanwässer vor etwa 6,2 Millionen Jahren, abgelaufen in einem überraschend kurzen geologischen Zeitraum. Dieses Ereignis prägte die sedimentäre Abfolge des Beckens, setzte Ökosystemverläufe zurück und liefert ein wertvolles Fallbeispiel dafür, wie Tektonik, Meeresspiegeländerung und Klima zusammen extreme marine Umwelten erzeugen können.
Als natürliches Experiment auf geologischer Zeitskala eröffnet das Rote Meer weiterhin einzigartige Chancen, grundlegende Prozesse der Ozeanentstehung, Evaporitbildung und ökologischen Erholung zu erforschen — mit direkten Anwendungen für Paläoklimatologie, Georisiken und Ressourcenerkundung.
Quelle: scitechdaily
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