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Wissenschaftler, die die Effekte von Psilocybin bei Mäusen untersuchen, berichten, dass bereits eine Einzeldosis neuronale Verbindungen so reorganisieren kann, dass wiederkehrendes negatives Denken, wie es bei Depressionen vorkommt, unterbrochen werden könnte. Mithilfe eines gentechnisch veränderten Tollwutvirus als Tracer kartierten die Forschenden, welche Schaltkreise gestärkt und welche abgeschwächt werden — dies liefert einen plausiblen Mechanismus für die in klinischen Studien berichteten antidepressiven Effekte.
Tracing the circuit changes behind behavioral shifts
Depression geht häufig mit Grübeln (Rumination) einher: ein schädlicher Rückkopplungsprozess in der Großhirnrinde, bei dem Betroffene immer wieder negative Gedanken fokussieren. Alex Kwan, Biomedizintechniker an der Cornell University und Mitautor der neuen Studie, erläutert, dass das Durchbrechen dieser Schleifen den langanhaltenden Verbesserungen zugrunde liegen könnte, die manche Patientinnen und Patienten nach psychedelischer Therapie erfahren. "Indem einige dieser Rückkopplungsschleifen reduziert werden, stehen unsere Ergebnisse im Einklang mit der Interpretation, dass Psilocybin das Gehirn umverkabeln kann, um diesen Zyklus zu durchbrechen oder zumindest zu schwächen", sagt er.
Um zu testen, wo und wie Psilocybin Verbindungen reorganisiert, verwendete das Team um den Biomedizintechniker Quan Jiang ein modifiziertes Tollwutvirus als biologischen Tracer. In seiner natürlichen Form springt das Tollwutvirus über Synapsen; hier wurde es so umgebaut, dass es fluoreszierende Marker transportiert, die zeigen, welche Neurone miteinander verbunden sind. Mäusen wurde entweder eine einzelne Dosis Psilocybin oder ein Placebo verabreicht, danach wurden sie einen Tag später mit dem gentechnisch veränderten Virus injiziert. Eine Woche nach der Markierung scannten die Forschenden die Gehirne und verglichen die fluoreszierenden Bahnen.
Die Scans zeigten ein auffälliges Muster: sensorische Regionen wurden stärker mit Hirnarealen verknüpft, die Handlungen steuern, während manche langreichweitigen kortikalen Verbindungen — genau jene Schleifen, die mit Rumination in Verbindung gebracht werden — reduziert waren. Anders formuliert schien Psilocybin Netzwerke neu zu gewichten, die Wahrnehmung und Aktion vermitteln, gegenüber introspektiven, repetitiven Schaltkreisen.

How psilocybin changes the connections between mouse neurons. (Jiang et al., Cell, 2025)
Methods and what the viral tracer revealed
Engineered rabies as a connectivity readout
Die Verwendung eines auf Tollwut basierenden Tracers ist zentral für die Einsichten der Studie. Anstatt nur allgemeine Maße neuronaler Aktivität zu liefern, erstellt diese Methode eine Karte synaptischer Verbindungen: welche Zellpopulationen mit welchen kommunizieren. Da das Virus fluoreszierende Proteine trägt, können Forschende Verschiebungen in der Konnektivität über Regionen hinweg visualisieren und quantifizieren, etwa im sensorischen Kortex sowie in präfrontalen Arealen, die an Entscheidungsfindung und selbstreferenziellen Prozessen beteiligt sind.
Technisch erlaubt der Ansatz, Eingangsquellen einzelner Regionen zu verfolgen und zu messen, ob die Dichte eingehender Verbindungen zunimmt oder abnimmt. Solche Messungen unterscheiden zwischen lokalen Veränderungen — etwa einer stärkeren Verknüpfung von sensorischen Arealen mit motorischen Kontrollzentren — und dem Verlust weitergeleiteter, langreichweitiger Verbindungen, die typischerweise für interne, wiederkehrende Gedankenmuster verantwortlich sind. Die kombinierten Fluoreszenzdaten wurden quantifiziert, räumlich registriert und statistisch bewertet, um signifikante Umstrukturierungen zu identifizieren.
Wichtig ist, dass das Team beobachtete, wo Psilocybin Umstrukturierungen bewirkte, stark von lokalen Aktivitätsmustern abhing — das legt nahe, dass der Zustand des Gehirns zum Zeitpunkt der Medikamentenexposition mitbestimmt, welche Schaltkreise sich verändern. Diese Abhängigkeit von der Aktivitätslandschaft erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass gezielte therapeutische Kombinationen möglich sind: Beispielsweise könnte die Kombination von Psychedelika mit neuromodulatorischen Techniken wie transkranieller Magnetstimulation (TMS) oder verhaltensorientierten Interventionen gezielt Plastizität in klinisch relevanten Netzwerken fördern.
Implications for depression treatment and future research
Depression betrifft weltweit mehr als 300 Millionen Menschen, und viele Patientinnen und Patienten sprechen unzureichend auf bestehende Medikamente an. Psilocybin — ursprünglich aus sogenannten "Zauberpilzen" gewonnen — hat in klinischen Studien für Major Depressive Disorder (MDD) sowie behandlungsresistente Depression vielversprechende Effekte gezeigt. Die neuen mechanistischen Daten aus Mäusen tragen dazu bei, zu erklären, wie ein kurzer Medikamentenkurs nachhaltig wirken kann: indem selektiv kortikale Rückkopplungsschleifen geschwächt werden, die Rumination aufrechterhalten, und gleichzeitig Pfade gestärkt werden, die Wahrnehmung und Aktion wieder besser verbinden.
Auf zellulärer Ebene unterstützen die Ergebnisse die Hypothese, dass Psychedelika akute Phasen erhöhter neuronaler Plastizität induzieren — etwa durch Signalwege, die mit dem Serotonin-2A-Rezeptor (5-HT2A) assoziiert sind — und damit synaptische Remodellierung ermöglichen. Studien zu 5-HT2A-abhängigen Signalwegen und nachgeschalteten molekularen Mechanismen (zum Beispiel BDNF‑Expression, mTOR-Signalgebung) legen nahe, dass eine kurzfristige pharmakologische Aktivierung langfristige strukturelle Veränderungen nach sich ziehen kann, die therapeutische Effekte tragen.
Die Autorinnen und Autoren sowie externe Expertinnen und Experten warnen jedoch, dass die Übertragbarkeit von Mäusen auf Menschen nicht garantiert ist. Die neuronale Architektur unterscheidet sich zwischen Arten, und komplexe Verhaltensweisen wie Rumination sind beim Menschen deutlich vielschichtiger. Dennoch stimmen die Befunde mit Beobachtungen aus humanen Bildgebungsstudien überein und bieten eine konkrete Hypothese: Psychedelische Substanzen ermöglichen eine gezielte Umverkabelung maladaptiver Schaltkreise.
Aus klinischer Perspektive könnten diese Erkenntnisse mehrere Konsequenzen haben: 1) Sie liefern einen biologischen Marker (veränderte Konnektivitätsmuster), der in translationalen Studien untersucht werden kann; 2) sie rechtfertigen Versuche, Psychedelika mit Psychotherapie oder Neuromodulation zu kombinieren, um Plastizität in gewünschte Richtungen zu lenken; 3) sie unterstreichen die Bedeutung des sogenannten "Set and Setting" — also des psychologischen und umweltbezogenen Kontexts während der Behandlung — da lokale Aktivitätsmuster offenbar beeinflussen, welche Netzwerke reorganisiert werden.
Next steps and clinical prospects
Zukünftige Arbeiten müssen prüfen, ob ähnliche Konnektivitätsänderungen beim Menschen auftreten und ob die Kombination von Psychedelika mit Neuromodulation oder verhaltenstherapeutischen Interventionen Plastizität gezielt in therapeutisch nützliche Netzwerke lenken kann. Translationaler Fortschritt erfordert multimodale Ansätze: in-vivo-Bildgebung (fMRT, MEG), elektrophysiologische Messungen, molekulare Marker und kontrollierte klinische Studien, die sowohl akute als auch langfristige Veränderungen erfassen.
Praktisch könnten Precision-Interventionen entstehen, die die vorteilhafte Umverkabelung verstärken und gleichzeitig unerwünschte Effekte minimieren. Beispiele wären patientenspezifische Protokolle, die Dosierung, psychotherapeutische Begleitung und zeitlich abgestimmte neuromodulatorische Stimulation kombinieren, um gezielt die Plastizität in Netzwerken zu erhöhen, die Wahrnehmung und Handlung wieder besser verbinden. Darüber hinaus könnten Biomarker der Konnektivität helfen, vorherzusagen, welche Patientinnen und Patienten am ehesten von einer solchen Behandlung profitieren.
Für den Moment liefert die Studie eine wichtige Brücke zwischen zellulärer Plastizität und dem klinischen Potenzial von Psilocybin bei Depression. Sie erweitert das Verständnis über die neurobiologischen Mechanismen psychedelischer Therapie und bietet konkrete Ansätze für Folgeexperimente — etwa longitudinale Bildgebungsstudien beim Menschen, kontrollierte Versuche zur Kombination mit TMS oder tiefenpsychologisch fundierten Therapien und molekulare Analysen der Signalwege, die Plastizität vermitteln. Diese integrierte Forschung könnte letztlich dazu beitragen, sichere, wirksame und gezielte Behandlungsstrategien gegen schwer behandelbare Depressionen zu entwickeln.
Quelle: sciencealert
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