7 Minuten
Neue Forschungsdaten deuten darauf hin, dass Männer und Frauen nicht unbedingt dieselben kardiovaskulären Gewinne aus identischen Trainingsgewohnheiten ziehen. Während das bekannte Ziel von 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche weiterhin als nützliche Mindestempfehlung gilt, beeinflusst geschlechtsspezifische Biologie offenbar, wie viel Nutzen jede einzelne Minute körperlicher Aktivität für das Herz tatsächlich bringt. Diese Unterschiede betreffen sowohl die Art und Weise, wie das Herz-Kreislauf-System auf Belastung reagiert, als auch die Anpassungsmechanismen an regelmäßiges Training, wie verbesserte Endothelfunktion, reduzierte Entzündungsmarker oder veränderte autonome Regulation.
Was die Daten zeigen
Längsschnitt- und Beobachtungsstudien, ergänzt durch Analysen von Fitness-Trackern und bevölkerungsweiten Kohorten, lassen vermuten, dass Frauen, die die derzeitigen Aktivitätsleitlinien erreichen, pro Trainingsminute häufiger überproportionale kardiovaskuläre Vorteile erzielen. Konkret zeigen einige Auswertungen, dass die Verringerung des Risikos für Herzinfarkt, kardiovaskuläre Sterblichkeit oder Hospitalisierungen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen für vergleichbare Aktivitätsmengen stärker ausgeprägt sein kann als bei Männern. Diese Befunde sind relevant für Menschen mit begrenzter Zeit: Kürzere, effektive Einheiten — etwa intensivere Intervalleinheiten oder zielgerichtete Ausdauerworkouts — können für Frauen relative, messbare Verbesserungen der Herzgesundheit bewirken.
Wichtig ist, dass diese Ergebnisse nicht bedeuten, Bewegung sei für ein Geschlecht unwichtig. Vielmehr verschiebt sich das Verhältnis zwischen Trainingsdauer, Intensität und dem daraus resultierenden Nutzen. Viele Studien nutzen Maße wie MET-Minuten (metabolisches Äquivalent) oder VO2-Äquivalente, um Belastung und Trainingsdosis zu quantifizieren; Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich häufig im Zusammenhang mit diesen Messgrößen, der Verteilung von Ruheherzfrequenzen, maximaler Sauerstoffaufnahme und in Biomarkern der Gefäßgesundheit.
Methodisch stammen die Erkenntnisse aus mehreren Datenquellen: bevölkerungsbezogene Register, prospektive Kohortenstudien mit serienmäßigen Belastungstests, randomisierte Interventionsstudien mit Fokus auf Trainingsintensität sowie Metaanalysen. Einige Studien kontrollieren für confounder wie Alter, Rauchen, Body-Mass-Index, Komorbiditäten und sozioökonomischen Status. Dennoch bleiben Einschränkungen bestehen: Heterogene Messmethoden für körperliche Aktivität, unterschiedliche Definitionen von „moderater“ oder „intensiver“ Aktivität und teilweise unzureichende Repräsentation älterer Frauen oder bestimmter ethnischer Gruppen begrenzen Verallgemeinerungen.

Warum das für Männer und Frauen unterschiedlich relevant ist
Bei Männern zeigt sich ein etwas anderes Muster: Die Gesamtdauer der körperlichen Aktivität über die Woche bleibt ein starker Prädiktor für zusätzliche herzschützende Effekte. Das heißt, bei Männern scheint das schrittweise Ansammeln zusätzlicher Trainingsminuten tendenziell mit weiter sinkendem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse verbunden zu sein. Für Männer ist die strategische Botschaft daher weniger, das Trainingsvolumen plötzlich stark zu erhöhen, sondern vielmehr, die Aktivität konsistent zu steigern — durch Alltagseinbindung, regelmäßiges Ausdauertraining und Kombination mit Krafttraining.
Praktisch heißt das: Männer profitieren stark von der Summe der Wochenminuten und von einer Mischung aus moderater und höherer Intensität über die Zeit hinweg. Bei Männern korreliert der kumulative Trainingsumfang häufig mit messbaren Verbesserungen in Parametern wie Blutdruck, LDL-Cholesterin, Insulinsensitivität und Herzstruktur (z. B. linksventrikuläre Masse und Funktion). Deshalb können Programme, die auf schrittweisen Aufbau und Progression setzen, besonders effektiv sein, um langfristige kardiovaskuläre Vorteile zu erzielen.
Gleichzeitig ist es wichtig, individuelle Unterschiede innerhalb der Geschlechter zu berücksichtigen: Alter, Hormonstatus (z. B. Menopause), Vorerkrankungen, genetische Disposition und Lebensstilfaktoren modulieren die Reaktion auf Trainingsreize. Die Datenlage legt nahe, dass individualisierte Empfehlungen, die Trainingstyp, Intensität und Erschöpfung berücksichtigen, bessere Resultate bringen können als starre Einheitsziele.
Biologie, Politik und Rehabilitation
Beide Geschlechter profitieren eindeutig von regelmäßiger körperlicher Aktivität — das ist unbestritten. Was sich ändert, ist die Steilheit der Nutzenkurve: biologische Unterschiede beeinflussen, wie Trainingsintensität, -dauer und -form in kardiovaskuläre Verbesserungen umgemünzt werden. Hormonelle Unterschiede, insbesondere Östrogen-Effekte auf Gefäßfunktion und Lipidstoffwechsel, spielen eine Rolle. Östrogen hat vasodilatatorische Effekte, verbessert normalerweise die Endothelfunktion und moduliert Entzündungsreaktionen, was erklären kann, warum Frauen bei vergleichbarer Belastung tendenziell größere kurzfristige Verbesserungen zeigen. Auf der anderen Seite können Männer stärker vom kumulativen Trainingsvolumen profitieren, da die Anpassungen an Ausdauer- und Krafttraining in bestimmten Parametern graduell intensiver ausfallen.
Aus Sicht der Gesundheitspolitik und der klinischen Rehabilitation sind diese Erkenntnisse relevant: Viele Herzrehabilitationsprogramme und vom Arzt veranlasste Bewegungstherapien (exercise-referral schemes) verwenden identische Zielvorgaben für Männer und Frauen. Wenn zukünftige Studien die geschlechtsspezifischen Unterschiede bestätigen und konkret quantifizieren, könnte dies dazu führen, dass Reha-Pläne stärker personalisiert werden — etwa durch unterschiedliche Schwerpunkte bei Intensitätsprogression, Trainingsdauer oder zusätzlichen Interventionen wie Ernährungsberatung und Stressmanagement.
In der Praxis könnten adaptive Programme, die bereits zu Beginn das individuelle Fitnessniveau, Risikoprofil und die Lebenssituation berücksichtigen, effizientere Ergebnisse liefern. Beispielsweise könnten Frauen mit begrenzter Zeit von hochintensiven Intervallen (HIIT) in kürzerer Gesamtdauer profitieren, während Männer möglicherweise von Programmen mit schrittweiser Wochenminutenaufnahme und stärkerem Fokus auf Ausdauer profitieren. Solche Anpassungen erfordern jedoch robuste Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien, zuverlässige Endpunkte und eine bessere Repräsentation beider Geschlechter in klinischen Versuchen.

Praktische Hinweise
- Streben Sie, wo möglich, die Basisempfehlung von 150 Minuten moderater Aktivität pro Woche an, da diese Zielmarke als allgemeiner Mindeststandard für Herzgesundheit etabliert ist und Herz-Kreislauf-Risiken reduziert.
- Wenn die verfügbare Zeit gering ist, können Frauen überproportional von kürzeren, effizient gestalteten Trainingseinheiten profitieren; gut strukturierte Intervalltrainings oder hochintensive, aber kurze Ausdauereinheiten können vergleichsweise große Effekte auf Endothelfunktion, Blutdruck und metabolische Gesundheit zeigen.
- Männer sollten darauf achten, die Gesamtminuten pro Woche konstant zu erhöhen und verschiedene Aktivitätstypen zu kombinieren — Ausdauer-, Kraft- und Mobilitätstraining — um ein umfassendes kardiovaskuläres Nutzenprofil zu erzielen.
- Unabhängig vom Geschlecht ist es wichtig, sitzende Zeiten zu reduzieren: Mehr Bewegung im Alltag, regelmäßige kurze Aktivitätspausen und geringfügige Verhaltensänderungen (z. B. Treppensteigen statt Aufzug) haben direkte positive Effekte auf Herzgesundheit und Stoffwechsel.
Weitere praktische Tipps umfassen die Nutzung digitaler Tools zur Aktivitätsmessung (Schrittzähler, Pulsuhren), das Setzen realistischer Zwischenziele, soziale Unterstützung durch Trainingspartner sowie die Integration von Bewegung in den Alltag (Pendeln mit Fahrrad, aktive Pausen bei sitzender Tätigkeit). Medizinische Beratung ist besonders wichtig für Personen mit bekannter Herzkrankheit, starkem Übergewicht oder anderen schweren Komorbiditäten, um Trainingsintensität und Sicherheit zu beurteilen.
Was Forschende noch wissen wollen
Offene Fragen betreffen unter anderem, ob bestimmte Trainingsformen oder -intensitäten die geschlechtsspezifischen Unterschiede verringern können, und wie personalisierte Rehabilitationsprogramme in klinischen Routinen umgesetzt werden können. Es fehlen noch groß angelegte randomisierte Studien, die gezielt sex-spezifische Ziele testen; solche Studien müssten robuste Endpunkte wie Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse, funktionelle Kapazität (z. B. VO2max) und Patient-Reported Outcomes untersuchen.
Wissenschaftler möchten auch die zugrundeliegenden Mechanismen besser verstehen: Inwiefern erklären Hormone, genetische Faktoren, Unterschiede in Körperzusammensetzung (Fett- vs. Muskelanteil), Entzündungsprofile oder Verhaltensmuster die variierende Trainingsantwort? Ebenfalls relevant ist die Frage der Übersetzung: Wie lassen sich differenzierte Empfehlungen in bestehenden Gesundheitssystemen, Reha-Programmen und öffentlichen Gesundheitskampagnen praktisch und kosteneffizient implementieren?
Zukünftige klinische Trials könnten geschlechtsspezifische Zielwerte für Trainingsminuten, Intensität und Trainingsmodalitäten prüfen und dabei auch sozioökonomische und kulturelle Faktoren berücksichtigen, die Zugangsbarrieren zur körperlichen Aktivität beeinflussen. Der eindeutige Nutzen wäre eine präzisere, evidenzbasierte Leitlinie für Herzrehabilitation und präventive Gesundheitsförderung, die individuelle Voraussetzungen, Lebensstil und physiologische Unterschiede reflektiert.
Abschließend lässt sich festhalten: Bewegung bleibt ein zentraler Baustein zur Verbesserung der Herzgesundheit. Die neueren Erkenntnisse zur geschlechtsspezifischen Wirksamkeit von Training legen jedoch nahe, dass eine personalisierte Herangehensweise, welche Trainingsdauer, Intensität und Typ berücksichtigt, die Effizienz von Interventionen steigern kann. Solche Ansätze können helfen, die vorhandenen Leitlinien zu verfeinern und die kardiovaskuläre Prävention zielgenauer zu gestalten.
Quelle: sciencealert
Kommentar hinterlassen