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Eine umfassende Analyse von 70 Kunststoffspielzeugen, die in Brasilien verkauft werden, hat eine weit verbreitete Kontamination mit gesundheitsschädlichen Metallen ergeben — in vielen Fällen deutlich über den zulässigen Grenzwerten. Forscher warnen, dass zwar nur ein geringer Bruchteil dieser Metalle unter simulierten oralen Bedingungen aus den Materialien auslaugen dürfte, die hohe Gesamtbelastung mit Giftstoffen wie Barium, Blei, Chrom und Antimon jedoch auf systemische Mängel in der Produktionskontrolle und der Produktüberwachung hinweist. Solche Befunde haben unmittelbare Relevanz für die Spielzeugsicherheit, Kinder- und Verbrauchergesundheit sowie für Regulierungsbehörden, die den Nachweis chemischer Sicherheit in Konsumgütern überwachen müssen.
Was die Studie untersuchte und warum das relevant ist
Die Studie wurde von Wissenschaftlern der Universität São Paulo (USP) in Zusammenarbeit mit der Bundesuniversität von Alfenas (UNIFAL) unter Förderung der Forschungsstiftung FAPESP durchgeführt. Es handelt sich damit um die bislang umfangreichste Bewertung chemischer Gefahren in Kunststoffspielwaren für Kinder in Brasilien. Die Forschenden kauften 70 Spielzeuge in populären Geschäften und Einkaufszentren in Ribeirão Preto und wählten gezielt Artikel aus, die sich an Kinder im Alter von 0–12 Jahren richteten und unterschiedliche sozioökonomische Märkte repräsentieren. Dabei wurde besonders auf Spielzeuge geachtet, die in Form oder Größe das Lutschen, Beißen oder intensiven Mundkontakt begünstigen — Verhaltensweisen, die das orale Expositionsrisiko erheblich erhöhen können.
Die Auswahl der Produkte deckte ein Spektrum von einfachen, preiswerten Massenartikeln bis zu etwas teureren Markenprodukten ab, um mögliche Unterschiede zwischen Segmenten der Lieferkette und Herkunftsländern zu erfassen. Zusätzlich zur chemischen Analyse berücksichtigte das Forschungsteam Produktkennzeichnungen, Altersangaben und Herstellerinformationen, um mögliche Zusammenhänge zwischen Kennzeichnung, Herkunft und Schadstoffbelastung zu untersuchen. Dieses mehrdimensionale Vorgehen stärkt die Aussagekraft der Untersuchung für Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie für politische Maßnahmen zur Verbesserung der Spielzeugsicherheit.
Hohe Konzentrationen gefährlicher Metalle
Die chemische Untersuchung identifizierte 21 Elemente mit toxischem Potenzial, darunter Arsen, Cadmium, Quecksilber, Blei, Chrom, Antimon, Barium und Uran. Besonders auffällig war die Häufigkeit und das Ausmaß der Barium-Belastung: 44,3 % der Proben überschritten die von brasilianischen Behörden festgelegten Grenzwerte, in Einzelfällen lagen die Konzentrationen bis zu 15-fach über dem erlaubten Wert. Blei war in nahezu einem Drittel der Spielzeuge (32,9 %) oberhalb genehmigter Werte nachweisbar und erreichte in einigen Proben knapp das Vierfache der empfohlenen Höchstwerte. Auch Chrom und Antimon traten in variierenden, teils erhöhten Konzentrationen auf, jeweils in 20 % bzw. 24,3 % der untersuchten Proben.
Diese Ergebnisverteilung deutet nicht nur auf isolierte Einzelfälle hin, sondern auf wiederkehrende Belastungsmuster, die auf gemeinsame Quellen innerhalb der Lieferkette verweisen können — beispielsweise auf lackierte Oberflächen, Farbpigmente, Weichmacher oder kontaminierte Ausgangsmaterialien. Solche systemischen Belastungen erhöhen das Risiko, dass Kinder über längere Zeiträume kumulativen Schadstoffmengen ausgesetzt sind, was die Bedeutung einer gezielten Produktsicherheitspolitik und strengerer Qualitätskontrollen unterstreicht.
Gesundheitliche Auswirkungen der wichtigsten Schadstoffe
- Barium: Eine hohe Exposition kann Herz und Nervensystem beeinträchtigen und Herzrhythmusstörungen, Hypotonie sowie Muskelschwäche verursachen. Chronische Belastung ist mit langfristigen kardiovaskulären Effekten und möglichen neurologischen Störungen verbunden.
- Blei: Bereits niedrige, chronische Blei-Expositionen stehen in Verbindung mit irreversiblen neurologischen Schäden bei Kindern, reduzierter Intelligenz (IQ), Lern- und Verhaltensstörungen sowie Entwicklungsverzögerungen. Blei wirkt kumulativ und ist besonders für sich entwickelnde Gehirne toxisch.
- Chrom: Bestimmte Oxidationsstufen von Chrom, insbesondere Chrom(VI), sind als krebserregend anerkannt und bergen langfristige Gesundheitsrisiken, einschließlich erhöhter Krebswahrscheinlichkeit und respiratorischer Probleme bei anderer Expositionswege.
- Antimon: Antimonverbindungen werden mit gastrointestinalen Beschwerden, Hautirritationen und anderen systemischen Effekten assoziiert; bei erhöhter Aufnahme können toxische Reaktionen auftreten.
Die genannten Effekte sind gut dokumentiert in der Toxikologie und der Umweltmedizin; für die Bewertung des tatsächlichen Risikos sind jedoch neben den Konzentrationen auch die Bioverfügbarkeit, Expositionsdauer, Alter und Verhalten der Kinder relevant. Die Kombination mehrerer Schadstoffe erhöht zudem das Potenzial für additive oder synergistische Wirkungen, die im Einzelfall schwer vorherzusagen sind.

Wie die Kontaminanten gemessen wurden
Die Forschenden setzten auf eine Kombination bewährter analytischer Methoden: die induktiv gekoppelten Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS) für die hochsensible Nachweisführung von Spurenmetallen und Metalloiden sowie eine mikrowellenunterstützte Säureaufschluss-Technik zur Probenvorbereitung. Diese Methodenkombination erlaubt präzise Quantifizierungen sehr niedriger Konzentrationen und die Charakterisierung von Elementmischungen in polymeren Matrizes.
Zur Abschätzung der möglichen Bioverfügbarkeit führten die Forscher Aufschluss- und Extraktionstests unter simulierten Magenbedingungen durch, die das saure Milieu des Mundes und Magens nachahmen sollen. Diese sogenannten Migrations- oder Auslaugungstests liefern Schätzwerte für den Anteil eines Kontaminanten, der bei orale Exposition freigesetzt und potenziell vom Körper aufgenommen werden könnte. Solche simulationen sind standardisiert in toxikologischen Studien zur Bewertung von Spielzeugsicherheit und Lebensmittelkontaktmaterialien.
Die gemessenen Extraktionsraten unter simulierten gastricen Bedingungen lagen zwischen 0,11 % und 7,33 % der gesamten Metallmenge in den Proben. Diese vergleichsweise niedrigen Auslaugungsprozentsätze deuten darauf hin, dass die unmittelbare Bioverfügbarkeit in den getesteten Szenarien begrenzt sein kann. Allerdings betonen die Forscher, dass geringe Freisetzungsbruchteile das Risiko nicht aufheben, wenn die Gesamtbelastung extrem hoch ist: Auch ein kleiner Anteil von sehr hohen Gesamtmengen kann auf lange Sicht zu schädlicher Exposition führen, insbesondere bei wiederholtem und anhaltendem Kontakt während sensibler Entwicklungsphasen.
Hinweise zur Produktion und regulatorische Lücken
Statistische Korrelationen in den Daten lieferten Hinweise auf wahrscheinliche Kontaminationsquellen innerhalb der Lieferkette. Beispielsweise traten Nickel, Kobalt und Mangan häufig gemeinsam auf, was darauf schließen lässt, dass Pigmente, Füllstoffe oder bestimmte Zusatzstoffe aus gemeinsamen Bezugsquellen stammen könnten. Auffällig war außerdem, dass beige gefärbte Spielzeuge insgesamt höhere Metallbelastungen zeigten — ein Indiz dafür, dass bestimmte Lacklieferanten oder Farbstoffadditive besonders belastet sein könnten.
Die Untersuchung dokumentierte wiederholte Verstöße gegen Sicherheitsanforderungen des nationalen brasilianischen Instituts für Metrologie, Qualität und Technologie (INMETRO) sowie gegen vergleichbare Standards der Europäischen Union. Diese Nichtkonformitäten reichen von fehlender Kennzeichnung über Überschreitungen zulässiger Grenzwerte bis hin zu mangelnder Herkunftszuordnung der verwendeten Materialien. Solche Mängel deuten auf unzureichende Überwachung, mangelhafte Lieferantenprüfung und fehlende Rückverfolgbarkeit entlang internationaler Produktionsketten hin.
„Diese Daten zeichnen ein alarmierendes Bild von multipler Kontamination und fehlender Kontrolle“, erklärt Bruno Alves Rocha, der leitende Postdoktorand der Studie. Als Gegenmaßnahmen empfehlen die Autoren strengere Durchsetzungsinstrumente, regelmäßige, stichprobenartige Laborprüfungen, verbesserte Traceability (Rückverfolgbarkeit) entlang der gesamten Produktionskette sowie höhere Zertifizierungsstandards — insbesondere für importierte Waren, die in vielen Fällen nicht ausreichend auf chemische Risiken getestet werden.
Über Metalle hinaus: Endokrine Disruptoren und kumulative Risiken
Die gleiche Forschungsgruppe hat zuvor hormonell wirksame Stoffe — sogenannte endokrine Disruptoren wie Bisphenole, Phthalate und Parabene — in Kinderprodukten nachgewiesen. Die gleichzeitige Exposition gegenüber neurotoxischen Metallen und hormonell wirksamen Substanzen erhöht die Besorgnis über additive oder synergistische Effekte auf die kindliche Entwicklung. Insbesondere die Kombination von Substanzen, die das Nervensystem schädigen, mit solchen, die das Hormonsystem stören, kann komplexe Interaktionen hervorrufen, die in traditionellen Einzelstoffbewertungen nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Regulierungsbehörden und Gesundheitsfachleute neigen dazu, Chemikalien meist einzeln zu bewerten; die Studie unterstreicht jedoch die wachsende Bedeutung kumulativer Risikoabschätzungen (Cumulative Risk Assessment) und mixtures assessment, um realistische Expositionsszenarien abzubilden. Solche Ansätze berücksichtigen mehrere Wirkmechanismen, gemeinsame Zielorgane und mögliche Wechselwirkungen und sind entscheidend für eine zeitgemäße Schutzstrategie gegenüber chemischen Belastungen in Verbraucherprodukten.
Wer ist besonders gefährdet?
Das Expositionsrisiko hängt entscheidend vom Nutzungsverhalten des Produkts ab: Wie lange und wie oft ein Kind ein Spielzeug lutscht oder in den Mund nimmt, die Häufigkeit des Kontakts, das Alter und individuelle Verhaltensweisen sind stark variables. Junge Säuglinge und Kleinkinder, die häufig Gegenstände in den Mund nehmen, sind aufgrund ihrer Körpergröße, Stoffwechselraten und der Empfindlichkeit des sich entwickelnden Nervensystems besonders gefährdet.
Die Forscher modellierten zwei Expositionsszenarien anhand von Median- (typischen) und Maximalwerten für Metallkonzentrationen. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein Kind, das über Monate regelmäßig an einem kontaminierten Spielzeug lutscht, eine deutlich höhere kumulative Aufnahme erreichen kann als ein Kind mit gelegentlichem Kontakt. Solche kumulativen Expositionsprofile sind relevant, da manche Schadstoffe wie Blei bioakkumulativ wirken und sich im Körper anreichern können, wodurch langfristige Gesundheitsfolgen wahrscheinlicher werden.
Expertinnen- und Experteneinschätzung
Dr. Laura Mendes, eine pädiatrische Umwelttoxikologin (fiktive Expertin), kommentiert: „Die Kombination hoher Gesamtkonzentrationen und selbst mäßiger Bioverfügbarkeit ist besorgniserregend. Die sich entwickelnden Gehirne und Körper von Kindern sind gegenüber kleinen Dosen neurotoxischer Substanzen empfindlicher. Regelmäßige Prüfung von Spielzeug, transparente Lieferketten und eindeutige Kennzeichnung sind praktische Schritte, die Hersteller und Regulierungsbehörden jetzt umsetzen können, um das Risiko zu reduzieren.“
Solche Expertinnen- und Experteneinschätzungen unterstreichen die Notwendigkeit, sowohl wissenschaftliche Evidenz als auch präventive Maßnahmen in die Produktpolitik einfließen zu lassen. Sie sprechen für eine Kombination aus präventiver Regulierung, Verbraucherschutzinitiativen und verbesserter Risikoaufklärung, um kinderbezogene Expositionen zu minimieren.
Politische Auswirkungen und praktische Schritte für Eltern
Die Studie plädiert für sofortige politische Maßnahmen: verpflichtende, stichprobenartige Laboruntersuchungen, erweiterte Produkt-Rückverfolgbarkeit, strengere Zertifizierungen für Importe sowie gezielte Inspektionen von Zulieferern, die mit hochriskanten Pigmenten und Additiven arbeiten. Solche Maßnahmen könnten helfen, kontaminierte Produktchargen frühzeitig zu erkennen und vom Markt zu nehmen, bevor sie weit verbreitet in Umlauf geraten.
Für Eltern und Betreuungspersonen empfiehlt die Untersuchung mehrere pragmatische Schritte, um das Expositionsrisiko zu vermindern: billige, unlabeled oder offensichtlich minderwertige Spielzeuge meiden; Altersangaben beachten; lutschsensible Spielsituationen beaufsichtigen; risikoreiche Artikel (insbesondere solche mit abplatzender Farbe oder starkem Geruch) entfernen; und nach Möglichkeit Produkte bevorzugen, die von anerkannten Prüforganisationen wie INMETRO oder internationalen Standards zertifiziert sind. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Spielzeug regelmäßig zu reinigen, beschädigte Teile zu entsorgen und auf sichere Alternativen zu achten.
Langfristig betont die Studie ein größeres gesellschaftliches Bedürfnis: Moderne Fertigungsprozesse und globalisierte Lieferketten erfordern aktualisierte Überwachungs- und Kontrollsysteme. Eine stärkere Marktüberwachung, verbindliche Kennzeichnungsanforderungen, bessere Rückverfolgbarkeit und öffentliche Aufklärung über chemische Expositionsrisiken können dazu beitragen, die Gesundheit von Kindern zu schützen und das Vertrauen in Alltagsprodukte wiederherzustellen. Nur durch kombinierte Anstrengungen von Wissenschaft, Industrie, Regulierungsbehörden und Verbrauchern lässt sich ein wirksamer Schutz der jüngsten Bevölkerungsgruppe gewährleisten.
Quelle: scitechdaily
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