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Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Biolumineszenz ein ursprüngliches Merkmal (ein sogenanntes plesiomorphes Merkmal) innerhalb der Octocorallia — den Weichkorallen — gewesen sein könnte. Heute aber leuchten nur noch wenige Arten. Forschende untersuchen nun, wann und warum dieses Leuchten in so vielen Abstammungslinien erloschen ist. Die Antwort auf diese Frage könnte Teile unseres Verständnisses früher mariner Ökosysteme wesentlich verändern, da Lichtproduktion in der Meeresgeschichte wichtige ökologische Rollen gespielt haben könnte.
Ein Leuchten aus der Vergangenheit: Was die Studie herausfand
In der Studie rekonstruierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die evolutionäre Geschichte von Tausenden von Weichkorallen-Arten mit modernen Methoden der molekularen Phylogenomik und Ancestral-State-Rekonstruktion. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der gemeinsame Vorfahre vieler heute lebender Octocorallia biolumineszente Fähigkeiten besaß. Demnach war die Fähigkeit zur Lichtproduktion bereits früh in der Entwicklung dieser Tiergruppe vorhanden und ging in zahlreichen Nachkommengruppen wieder verloren. Solche mehrfachen Verluste deuten auf aktive evolutionäre Prozesse hin, nicht nur auf zufällige Begleiterscheinungen.
Die Forschungsarbeit, veröffentlicht in Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, fasst die Beobachtungen systematisch zusammen: Anhand umfangreicher Datensätze aus genetischen Markern, taxonomischer Information und Ökologie-Modellen konnten die Autorinnen und Autoren Wahrscheinlichkeiten für das Vorhandensein von Biolumineszenz in verschiedenen Knoten des Stammbaums schätzen. Diese probabilistischen Rekonstruktionen legen nahe, dass Biolumineszenz kein sporadisch auftretendes, einmal erworbenes Merkmal war, sondern ein ehemals weit verbreitetes Feature innerhalb der Gruppe.
Methodisch stützt sich die Studie auf die Kombination mehrerer Ansätze: phylogenetische Analysen, Vergleich molekularer Sequenzen und probabilistische Modelle für Zustandsänderungen (Ancestral-State-Rekonstruktion). Außerdem wurden vorhandene Beobachtungsdaten zu beobachteter Biolumineszenz, Lebensräumen und Tiefenverbreitung zusammengeführt, um Korrelationen zwischen dem Verlust der Lichtproduktion und ökologischen Übergängen sichtbar zu machen. Solche integrativen Analysen erhöhen die Robustheit der Schlussfolgerung, dass multiple Verlustereignisse wahrscheinlicher sind als ein einmaliges Ereignis.
Wichtig ist auch die Differenzierung zwischen dem vollständigen Verschwinden eines biochemischen Systems und der teilweisen Umnutzung seiner Komponenten. In manchen Fällen können Enzyme, regulatorische Gene oder Substrate modifiziert und für andere physiologische Funktionen adaptiert werden. Die Studie betont, dass die bloße Abwesenheit sichtbaren Leuchtens nicht zwangsläufig das vollständige Verschwinden aller beteiligten Moleküle bedeutet — vielmehr könnten Reste des Systems in Genomen nachweisbar sein und Hinweise auf frühe Funktionen liefern.
Warum sollten Weichkorallen aufhören zu leuchten?
Es gibt mehrere plausibel begründete Mechanismen, die den wiederholten Verlust von Biolumineszenz erklären könnten. Auf biochemischer Ebene erfordert Lichtproduktion spezifische molekulare Komponenten: Enzyme (häufig Luciferasen genannt), Substrate (Luciferine) und oft auch helpersubstrate oder kofaktorabhängige Reaktionspartner. Wenn Gene, die diese Komponenten codieren, durch Mutationen funktionslos werden (Pseudogenisierung) oder in regulatorischer Hinsicht deaktiviert werden, erlischt die Fähigkeit zur Biolumineszenz.
Ein weiterer Faktor sind ökologische Veränderungen. Weichkorallen besiedeln ein breites Spektrum an Lebensräumen — von flachen Riffen bis in tiefste, lichtfreie Zonen. Wechselnde Lebensräume, unterschiedliche Präsenz von Räubern, veränderte Symbiosen mit Mikroorganismen oder Algen sowie Veränderungen in der vertikalen Verteilung der Arten können die adaptive Nützlichkeit von Lichtproduktion drastisch verändern. Wo Biolumineszenz früher Vorteile brachte, beispielsweise zur Abschreckung von Räubern, zur Kommunikation oder zur Anlockung von Beute, kann sie unter neuen Umweltbedingungen neutral oder gar nachteilig werden.
Produzieren von Licht ist nicht ohne Kosten: metabolische Energie fehlt dann an anderer Stelle. In energiearmen Habitaten — etwa in tieferen Meereszonen oder auf nährstoffarmen Substraten — kann die Aufrechterhaltung komplexer biosynthetischer Wege nachteilhaft sein. Natürliche Selektion begünstigt in solchen Situationen oft sparsamere, energieeffizientere Strategien. Folglich kann ein Selektionsdruck entstehen, der die Abschaltung oder den Verlust der biolumineszenten Fähigkeit fördert.
Auch genetische Drift spielt eine Rolle, besonders in kleineren, isolierten Populationen: In solchen Gruppen können nützliche, aber seltene Gene durch Zufall verloren gehen, ohne dass starker Selektionsdruck dagegen wirkt. Kombiniert mit geographischer Isolation oder wiederholter Besiedlung neuer Habitatzonen können so in verschiedenen Linien unabhängig voneinander ähnliche Verluste auftreten — ein Muster, das die Studie beobachtet.
Zusätzlich sind ökologische Interaktionen wie Symbiosen relevante Treiber: Einige Weichkorallen gehen Partnerschaften mit photosynthetischen Algen (Zooxanthellen) oder bakteriellem Mikrobiom ein. Solche Beziehungen verändern Nahrungs- und Energiemetabolismus grundlegend. Beispielsweise reduziert eine starke Abhängigkeit von photosynthetischer Energie die Notwendigkeit aktiv erzeugter Signale im Dunkeln, während mikrobiell vermittelte chemische Signale andere Kommunikationswege etablieren können. In jenem Kontext verliert Biolumineszenz schnell an relativer Bedeutung.
Neben Verlusten gibt es auch Fälle, in denen Biolumineszenz erhalten blieb oder konvergent wiedergewinnen wurde. Bei Arten, die weiterhin in lichtarmen Habitaten mit hoher Räuberdichte leben oder bei denen Leuchten klare Vorteile bei der Partnerfindung oder der Beutefangstrategie bringt, bleibt das Merkmal stabil. Solche Gegenbeispiele sind wichtig, weil sie zeigen, unter welchen ökologischen Bedingungen Biolumineszenz adaptiv bleibt.
Schließlich ist die Frage nach dem „Warum“ auch abhängig von zeitlichen Faktoren. Evolutionäre Änderungen lassen sich nicht immer als einfache Anpassungen an aktuelle Bedingungen interpretieren; historische Ereignisse, Massenaussterben, Klimawechsel und langfristige Habitatverschiebungen formen die Selektion über geologische Zeiträume. Die Rekonstruktion dieser zeitlichen Abfolgen ist deshalb zentral, um zu verstehen, warum Lichtproduktion in manchen Linien erhalten blieb und in anderen verlorenging.

Warum das für das Verständnis antiker Meere wichtig ist
Die Frage, wann Biolumineszenz verschwand, hat Bedeutung weit über die Systematik der Weichkorallen hinaus: Sie liefert Einsichten in die Ökologie des Kambriums und anderer lange zurückliegender Meereszeitalter. Wenn Leuchten einst weit verbreitet war, dann könnten nächtliche Signale, Räuber–Beute-Beziehungen, Balzverhalten und andere interspezifische Interaktionen in frühen Ozeanen grundlegend anders funktioniert haben als in jenen modernen Ökosystemen, die wir heute beobachten.
Palaeoökologische Rekonstruktionen stützen sich oft auf verfügbare fossile Hinweise, chemische Signaturen und das Verhalten heutiger Arten als Modelle. Die Möglichkeit, dass Biolumineszenz einst verbreiteter war, verändert die Interpretation mancher fossiler Hinweise: So könnten bestimmte morphologische Merkmale oder Verhaltensspuren anders gedeutet werden, wenn Kommunikations- und Abschreckungsmechanismen über Leuchten verfügbar gewesen wären. Gleichzeitig eröffnet die genetische Spurensuche in heutigen Genomen neue Wege, um alte Merkmale zu identifizieren — etwa durch Nachweis von pseudogensequenzen oder konservierten Enzymmotiven.
Die Studie zeigt ferner, wie biotische Netzwerke in vergangenen Meeren strukturiert gewesen sein könnten. Biolumineszenz beeinflusst Sichtbarkeit, Raumnutzung und zeitliche Aktivitätsmuster. War Leuchten einmal sehr verbreitet, dann wären Dämmerungs- und Nachtaktivitäten, Pollination-ähnliche Interaktionen im Meer sowie chemisch-visuelle Signale viel wichtiger gewesen. Die Vielfalt solcher Interaktionen könnte das funktionelle Repertoire antiker Nahrungsnetze erweitert haben, mit Auswirkungen auf Nahrungsfluss, Konkurrenzstrukturen und evolutionären Innovationsraten.
Für die Forschung bedeutet dies eine klare Handlungsanweisung: Um frühere Meeresökosysteme besser zu verstehen, müssen Paläobiologen, Molekularbiologen und Ökologen enger zusammenarbeiten. Genomische Analysen heutiger Arten können Hinweise auf verlorene Fähigkeiten geben, während experimentelle Ökologie Aufschluss darüber liefert, welche Bedingungen die Erhaltung oder den Verlust von Biolumineszenz begünstigen. Solch interdisziplinäre Ansätze können helfen, Hypothesen über das Verhalten und die Struktur antiker Gemeinschaften zu testen.
Die Autorinnen und Autoren der Studie betonen, dass dies nur ein nächster Schritt ist. Zukünftige Arbeiten werden gezielt nach den genauen Genen suchen, die verloren gegangen oder verändert wurden, und versuchen, diese genomischen Änderungen mit Habitatwechseln und Verhaltensänderungen zu verknüpfen. Konkrete Ziele sind: Identifikation von Luciferase-Genfamilien, Analyse regulatorischer Netzwerke, Untersuchung von Pseudogenen und die experimentelle Bestätigung der Funktion mancher Kandidatengene. Solche Arbeiten werden zudem die Rolle von horizontalem Gentransfer, Genverdopplung und adaptiver Konvergenz in der Evolution der Biolumineszenz beleuchten.
Neben rein wissenschaftlichen Konsequenzen hat dieses Forschungsfeld auch Bedeutung für Naturschutz und Biodiversitätsforschung. Die Fähigkeit mancher Arten zu leuchten kann ein Indikator für bestimmte Lebensraumtypen sein oder auf spezielle ökologische Nischen hinweisen. Das Verständnis der evolutionären Dynamik von Biolumineszenz trägt somit dazu bei, ökologische Schlüsselarten zu identifizieren und die Funktionsvielfalt mariner Gemeinschaften besser zu bewerten.
Ein früherer Entwurf dieses Artikels erschien bereits im April 2024. Die aktuelle Version fasst die neuen Analysen zusammen, ordnet sie in den Kontext bestehender Forschung ein und zeigt Perspektiven für folgende Forschungsfragen auf: Welche molekularen Mechanismen erklären wiederholte Verluste? In welchen ökologischen Szenarien bleibt Biolumineszenz konserviert? Und welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf die Struktur antiker Meeresgemeinschaften ziehen? Antworten auf diese Fragen werden unser Bild der Ozeane der Vergangenheit und damit grundlegende Aspekte der marinen Evolution vertiefen.
Quelle: sciencealert
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