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Vom Licht wachsender Flotten kommerzieller Satelliten reflektierte Strahlung könnte den Großteil der Aufnahmen von erdnahen Weltraumteleskopen verfälschen, warnen Forschende. Eine neue Studie modelliert, wie vorgeschlagene Megakonstellationen – sollten sie wie geplant gestartet werden – astronomische Beobachtungen erheblich erschweren und in vielen Fällen unmöglich machen könnten, und das über eine breite Palette von Missionen hinweg.
Ein voller Himmel und die Zahlen hinter dem Risiko
Die Zahl aktiver Satelliten im niedrigen Erdorbit (LEO) ist von etwa 2.000 im Jahr 2019 auf rund 15.000 heute gestiegen, angetrieben vor allem durch kommerzielle Internet-Konstellationen. Diese Zunahme könnte jedoch nur das Vorspiel zu einer deutlich größeren Veränderung sein. Die in Nature beschriebene Studie prognostiziert, dass bis in die späten 2030er Jahre, sollten alle derzeitigen Anträge bei Regulierungsbehörden umgesetzt werden, bis zu 560.000 Satelliten im Orbit operieren könnten.
Um die Auswirkungen abzuschätzen, simulierten die Forschenden, wie diese Satelliten Beobachtungen von vier verschiedenen Weltraumteleskopen schneiden würden. Das Ergebnis ist alarmierend: Reflektiertes Sonnenlicht und Lichtspuren von Satelliten könnten schätzungsweise 96 Prozent der Aufnahmen mehrerer erdnaher Instrumente beeinträchtigen, darunter die SPHEREx-Mission der NASA, das geplante ARRAKIHS der ESA und das geplante chinesische Xuntian-Teleskop. Das Hubble-Weltraumteleskop mit seinem schmaleren Gesichtsfeld wäre weniger betroffen, aber immer noch könnte etwa ein Drittel seiner Bilder kontaminiert werden.

Eine simulierte Darstellung, wie Lichter von Satelliten die Aufnahmen des Universums durch Weltraumteleskope verfälschen können.
Warum das für Wissenschaft und Planetare Verteidigung wichtig ist
Weltraumteleskope sind oft die bevorzugte Plattform für die Beobachtung lichtschwacher Objekte, weil sie atmosphärische Unschärfen und Absorptionen umgehen. Satelliten, die sich durch das Sichtfeld eines Teleskops bewegen, hinterlassen jedoch lineare Spuren oder kurzzeitige Blitze, die echte astrophysikalische Signale nachahmen können. Diese Verwechslungen haben konkrete Folgen: Himmelsdurchmusterungen, die nach potenziell gefährlichen erdnahen Objekten (Near-Earth Objects, NEOs) suchen, könnten harmlose Satellitenspuren fälschlich für gefährliche Asteroiden halten oder umgekehrt reale Bedrohungen übersehen, wenn deren Signale von Satellitenstreifen überlagert werden.
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft aktuelle und geplante Missionen, die direkt auf die Erde gerichtet sind oder enge Gesichtsfelder nutzen. Während Teleskope, die sich am zweiten Lagrange-Punkt des Systems Sonne–Erde (L2) befinden – rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt – größtenteils ungestört bleiben (das James-Webb-Weltraumteleskop operiert beispielsweise von L2 und umgeht damit die dichtesten Schichten des LEO-Verkehrs), liegen viele künftige Observatorien deutlich näher an der Erde. Genau dort wird die wachsende Satellitenpopulation am störendsten sein.
Auswirkungen auf Beobachtungsprogramme und Datenqualität
Die Störung durch Satelliten betrifft verschiedene Bereiche der Astronomie: synoptische Durchmusterungen, die auf Veränderlichkeit oder Transienten (kurzzeitig auftretende Phänomene) abzielen; tiefe Bildaufnahmen, die schwache Galaxien oder ferne Hintergrundquellen erfassen sollen; sowie Spektralbeobachtungen, bei denen unerwünschte Lichtanteile die Messung von Linien und Energiedistribution verfälschen können. Die Folge sind erhöhte Nachbearbeitungsaufwände, eine Verringerung der effektiven Beobachtungszeit und potenziell verzerrte statistische Aussagen über Himmelsobjekte und transienten Ereignisse.
Praktische Konsequenzen treten bereits heute auf: Beobachtende Teams müssen mehr Zeit für die Kalibrierung und Reinigung von Bildern aufwenden, automatisierte Detektionsalgorithmen benötigen robustere Filter, und einige Messungen – etwa die genaue Photometrie lichtschwacher Quellen – können irreparabel gestört werden. Auf lange Sicht droht eine Verschlechterung der wissenschaftlichen Datenqualität, die den Rückgang der Entdeckungsrate für seltene Ereignisse und die Verschlechterung von Langzeit-Monitoringprogrammen zur Folge haben könnte.
Technische Details und mögliche Gegenmaßnahmen
- Höhenwahl und Orbitaldesign: Das Platzieren von Satelliten unterhalb der Umlaufbahnen von Weltraumteleskopen würde Konflikte reduzieren, weil die relative Lage und Häufigkeit der Kreuzungen sinkt. Allerdings führen sehr niedrige Orbits zu erhöhtem atmosphärischem Widerstand (Drag), schnelleren Bahnveränderungen und häufigeren Bahnkorrekturen, was Treibstoffverbrauch und Umweltbelastung erhöht. Zudem besteht das Risiko, dass häufige Wiedereintritte und chemische Prozesse in der Atmosphäre unerwünschte Effekte auf beispielsweise die Ozonschicht haben könnten, wenn große Konstellationen regelmäßig nachgesteuert werden müssen.
- Transparenz und Koordination: Betreiber könnten präzise Ephemeriden, Orientierungsdaten und Informationen zu Oberflächeneigenschaften bereitstellen, damit Observatorien Software einsetzen können, die Satellitenüberflüge vorhersagt und betroffene Bildbereiche maskiert. Solche Datenfreigaben können die Planung erheblich verbessern und ermöglichen automatisierte Maskierungs- und Interpolationsstrategien. Dennoch beseitigt das Teilen von Telemetrie nicht den Datenverlust selbst – maskierte Bereiche enthalten keine sukzessiven wissenschaftlich verwertbaren Informationen – und erhöht die Komplexität der Datenverarbeitung.
- Designmaßnahmen zur Reduzierung der Reflektivität: Dunkle Beschichtungen, Blenden, aktive Ausrichtungsstrategien und Oberflächenmaterialien mit geringem Rückstreuungskoeffizienten können die Helligkeit einzelner Satelliten reduzieren. Doch der Trend zu größeren Satellitenplattformen, bedingt durch wachsende Anforderungen an Bandbreite, Rechenleistung für KI-Anwendungen und Sensorik, erschwert die Abschwächung der Helligkeit: Projekte mit Flächen von 100 m² erscheinen bereits so hell wie die hellsten Sterne, und Entwürfe mit 3.000 m² könnten in der Helligkeit planetenähnliche Werte erreichen. Selbst bei optimierter Oberflächengestaltung bleiben bei solchen Dimensionen nur begrenzte Abschwächungsmöglichkeiten.
Weitere technische Ansätze umfassen adaptive Aufnahmezeiten, also die Vermeidung kritischer Belichtungsfenster, und die Entwicklung neuer Algorithmen zur Rekonstruktion überblendeter Bereiche. Beide Strategien haben jedoch Toleranzgrenzen: adaptive Zeitplanung kann Beobachtungsprogramme verlangsamen oder Beobachtungsfenster reduzieren, während Rekonstruktionsverfahren bei stark überlagerten oder saturierten Pixeln an Aussagekraft verlieren.
Wirtschaftliche und politische Treiber
Der Wettbewerb zwischen Anbietern von Satelliteninternet und die Nachfrage aus datenintensiven Branchen machen eine deutliche Reduktion der Starts politisch und ökonomisch unwahrscheinlich. Kommerzielle Anreize – globale Konnektivität, neue Geschäftsfelder für Edge-Computing im Orbit, kommerzielle Fernerkundungsdienste – treiben die Markteintritte zahlreicher Unternehmen und Staaten voran. Zwar gehören gegenwärtig nahezu drei Viertel der LEO-Satelliten einer einzigen Firma, doch Prognosen gehen davon aus, dass dieser Anteil sinken wird, wenn weitere Länder und Konzerne eigene Konstellationen aufbauen.
Die ökonomische Dynamik erzeugt einen klassischen Commons-Konflikt: einzelne Akteure maximieren ihren Nutzen durch verstärkte Satellitenstarts, während die kollektiven Kosten – in Form von wissenschaftlich wertvoller Beobachtungszeit, gesteigerter Kollision- und Trümmergefahr sowie langfristigen Umweltrisiken – von der internationalen Gemeinschaft getragen werden. Solche Divergenzen erfordern koordinierte politische Antworten, etwa durch internationale Regulierungsmechanismen, standardisierte Anforderungen an Lichtemission und Transparenzpflichten oder durch ökonomische Anreize für lichtarme Satelliten-Designs.
Fachliche Einschätzung
Dr. Elena Vargas, Astrophysikerin mit Schwerpunkt Beobachtungskampagnen, kommentiert: 'Das Problem ist nicht nur die Verschlechterung einzelner Bilder. Viel wichtiger ist, dass die Vollständigkeit von Himmelsdurchmusterungen und die Empfindlichkeit bei der Erkennung transiente Ereignisse unvorhersehbar verschoben werden. Das untergräbt langfristige Monitoring-Programme und könnte umfassende Änderungen in Strategie und Instrumenten-Design erzwingen. Koordinierte Gegenmaßnahmen und regulatorische Aufmerksamkeit sind jetzt erforderlich, nicht später.'
Expertinnen und Experten weisen zudem darauf hin, dass die Effekte kumulativ und nicht linear sind: eine moderate Zunahme von Satelliten kann bereits kritische Schwellen überschreiten, bei denen etablierte Analyse-Pipelines versagen oder systematische Biases in Datensätzen entstehen. Neben technischen Lösungen sind deshalb robuste Monitoring- und Evaluations-Frameworks wichtig, die die Qualität von Beobachtungen entlang definierter Metriken bewerten und Änderungen in Echtzeit rückkoppeln.
Beispiele aus der Praxis und Forschungsbedarf
Einige Beobachtungsteams berichten, dass konventionelle Bildverarbeitungs-Workflows bereits deutlich häufiger manuelle Eingriffe und visuelle Kontrollen erfordern. Für besonders lichtempfindliche Programme, wie die Suche nach sehr fernen Galaxien oder die Charakterisierung schwacher Kometen und Kleinplaneten, bedeutet dies sowohl zeitliche Verzögerungen als auch eine Verringerung der statistischen Aussagekraft. Systematische Studien zur Quantifizierung dieser Effekte sind notwendig, um belastbare Vorgaben für akzeptable Satellitenhelligkeiten und Umlaufbahnen zu entwickeln.
Forschungsbedarf besteht auch im Bereich der Materialwissenschaften (dafür geeignetere, langlebige, dunkle Beschichtungen), der Optik (Optimierung der Teleskop- und Instrumenten-Designs gegen Streulicht) und der Softwareentwicklung (robuste Algorithmen für Echtzeit-Erkennung und -Maskierung von Satellitenstreifen). Interdisziplinäre Projekte, die Raumfahrttechnik, Astronomie und Umweltwissenschaften verbinden, sind besonders vielversprechend, um praxisnahe, skalierbare Lösungen zu entwickeln.
Politische und regulatorische Optionen
Mehrere Handlungsoptionen stehen auf internationaler und nationaler Ebene zur Verfügung:
- Verbindliche Transparenzpflichten für Betreiber: Regelmäßige Veröffentlichung präziser Bahn- und Orientierungsdaten, Materialeigenschaften und geplanten Manöverpläne.
- Technische Mindeststandards: Vorgaben zur maximal zulässigen Selbstleuchtdichte (Surface Brightness) oder verpflichtende Anpassungen im Design, um Reflexionen zu reduzieren.
- Raumfahrtrechtliche Vorgaben: Internationale Vereinbarungen, die unbegrenztes Wachstum in bestimmten Orbitalbändern begrenzen oder Lizenzen an wissenschaftliche Kompatibilitätsprüfungen knüpfen.
- Ökonomische Instrumente: Subventionen oder Incentives für lichtarme Satellitendesigns, sowie Gebühren für besonders störende Konstellationen, um externalisierte Kosten zu internalisieren.
Solche Maßnahmen erfordern jedoch multilaterale Verhandlungen und ein Gleichgewicht zwischen Innovationsförderung und Schutz öffentlicher Güter wie wissenschaftlicher Forschung und Planetensicherheit. Regelungen müssen technologisch neutral und flexibel genug sein, um mit schneller technologischer Entwicklung Schritt zu halten, und gleichzeitig effektive Mindestanforderungen setzen.
Schlussfolgerung
Die astronomische Gemeinschaft steht an einem Scheideweg. Die schnelle kommerzielle Ausweitung der LEO-Kapazitäten verspricht weltweite Konnektivität und neue Dienste, doch sie läuft Gefahr, die Beobachtungen zu beeinträchtigen, die unser Verständnis des Universums erweitern. Praktische Maßnahmen – verbesserter Austausch von Satellitentelemetrie, Designänderungen zur Verringerung der Reflektivität sowie regulatorische Koordination zur Begrenzung unkontrollierten Wachstums – könnten die schlimmsten Auswirkungen abschwächen. Ohne solche Schritte könnten erdnahe Weltraumteleskope ebenso wie bodengebundene Observatorien eine schrittweise Erosion ihrer Fähigkeit erleben, schwache, unverfälschte Blickwinkel ins Kosmos zu erfassen.
Eine kombinierte Strategie aus Technik, Transparenz und Politik ist nötig: technische Innovationen müssen mit verbindlichen Standards und internationaler Kooperation einhergehen, damit wissenschaftliche und sicherheitsrelevante Aufgaben — etwa die Entdeckung und Überwachung potentiell gefährlicher NEOs — nicht dauerhaft beeinträchtigt werden. Letztlich erfordert der Schutz der astronomischen Beobachtungskapazitäten ein Bündnis aus Forschenden, Raumfahrtindustrie, Regulierern und der Öffentlichkeit, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln, die sowohl kommerzielle Chancen als auch globale wissenschaftliche Interessen berücksichtigen.
Quelle: sciencealert
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