Ultraschwarze Merinowolle: Neuer Rekordstoff aus Cornell

Ultraschwarze Merinowolle: Neuer Rekordstoff aus Cornell

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Ingenieure der Cornell University haben ein Textil entwickelt, das nahezu das gesamte Licht absorbiert — 99,87 % davon — und damit zu einem der schwärzesten Stoffe zählt, die jemals dokumentiert wurden. Die Entdeckung vereint Biomimikry, Polymerchemie und nanoskalige Oberflächenbearbeitung und resultiert in einer ultraschwarzen Merinowolle, die sowohl für Mode als auch für funktionale Anwendungen geeignet ist. Diese Kombination aus biologischer Inspiration und technisch skalierbaren Prozessen eröffnet neue Möglichkeiten für Textilinnovation, optische Anwendungen und industrielle Fertigung.

How researchers turned wool into an ultrablack material

Ein Material „ultraschwarz“ zu machen ist nicht einfach eine Frage stärkerer Farbstoffe. Stattdessen veränderte das Cornell-Team, wie der Stoff auf nanokosmischer Ebene mit Licht interagiert. Sie begannen mit weißem Merino-Strick und tauchten ihn in ein synthetisches Melanin-analoges Polymer namens Polydopamin. Diese chemische Schicht färbte die Fasern bereits dunkel, doch der entscheidende Schritt war struktureller Natur: Der Stoff wurde in eine Plasmaätzkammer eingebracht, in der die Forschenden Nanofibrillen modellierten — mikroskopisch feine, haarähnliche Rippen, die die Oberflächen der Fasern überziehen.

Ein Kleid entworfen von Zoe Alvarez, inspiriert vom prächtigen Riflebird, teilweise gefertigt mit dem bislang schwärzesten Stoff (der dunkle schwarze Rand um das Blau).

Diese winzigen Fibrillen fangen einfallende Photonen ein. Wie Hansadi Jayamaha, Faserspezialist und Designer, der an der Arbeit beteiligt war, erklärte: „Das Licht prallt im Grunde zwischen den Fibrillen hin und her, statt wieder nach außen zu reflektieren — das erzeugt den ultraschwarzen Effekt.“ Durch die wiederholte interne Streuung wird der Großteil des reflektierten Lichts effektiv eliminiert, was zu dem auffällig niedrigen Reflexionsgrad führt. Technisch gesprochen reduziert die Kombination aus absorbierender Polymerbeschichtung und geometrischer Lichtfallenstruktur die Rückstreuung auf einen Bruchteil dessen, was bei konventionell gefärbten Textilien beobachtet wird.

Aufnahmen, die die mikroskopische Struktur von unbehandelter weißer Merinowolle (e1) und gefärbter, plasma-behandelter Wolle (e5-8) zeigen.

Nature as a blueprint: the magnificent riflebird

Das Team ließ sich von dem prächtigen Riflebird (Ptiloris magnificus) inspirieren, einem Vogel aus Neuguinea und Nordaustralien, der für seine irisierenden blau-grünen Brustfedern bekannt ist, die von nahezu schwarzem Gefieder umrahmt werden. Bei diesem Vogel unterdrückt die Mikrostruktur der Federn gestreutes Licht und verstärkt so den visuellen Kontrast zwischen schillernden und matten Bereichen. Die Cornell-Textilie ahmt diesen mikrostrukturellen Trick nach — verbessert jedoch die Winkelabhängigkeit: Das Schwarz des Riflebirds wirkt am dunkelsten bei Frontalbetrachtung und wird in steileren Blickwinkeln reflektierender. Die entwickelte Textilie hingegen hält ihre geringe Reflektivität bis zu etwa 60 Grad auf beiden Seiten aufrecht, was eine deutlich bessere Blickwinkelstabilität bedeutet und für praktische Anwendungen im Design und in der Technik relevant ist.

Ein männlicher prächtiger Riflebird

Where this fits among ultrablack technologies

Die neue Wolle ist nicht das absolut dunkelste bekannte Material — Vantablack beispielsweise absorbiert Berichten zufolge etwa 99,96 % des einfallenden Lichts, und eine spätere Kohlenstoffnanoröhren-Anordnung des MIT soll bis zu 99,995 % Absorption erreicht haben. Solche Hochleistungsmaterialien sind jedoch oft teuer, auf starre Substrate beschränkt oder schwer skalierbar. Der Ansatz von Cornell verwendet hingegen kostengünstige Merinowolle sowie chemische und Plasmaprozesse, die sich potenziell für großflächigere Textilproduktionen anpassen lassen. Diese Kombination aus Skalierbarkeit, Flexibilität (tragbare Fasern) und verhältnismäßig einfachen Ausgangsmaterialien differenziert die Arbeit deutlich von vielen früheren ultraschwarzen Technologien.

Die Forschenden legten zudem praktische Verwendungsbeispiele vor: Die Mode-Design-Studentin Zoe Alvarez schuf ein Kleid mit gradueller Abdunkelung, das in einem ultraschwarzen Rand um ein intensiv blau-grünes Zentrum mündet und so die Färbung des Riflebirds nachempfindet. Dieses Stück demonstriert, dass das Material in Kleidungsstücke und visuelle Entwürfe integrierbar ist und nicht auf Proben im Labor beschränkt bleiben muss. Gleichzeitig signalisiert es, dass Designerinnen und Designer mit neuen Texturbildungen und Kontrasten arbeiten können, die zuvor nur schwer realisierbar waren.

Applications and implications

Über die Mode hinaus bieten ultraschwarze Textilien vielversprechende Einsatzmöglichkeiten in optischen Sensoren, Wärmemanagement-Systemen und in der Bühnen- oder Displayindustrie, wo die Kontrolle von Streulicht entscheidend ist. Materialien, die Licht effizient einfangen, können die Empfindlichkeit wissenschaftlicher Kameras und Instrumente erhöhen, den Streulichtanteil in optischen Messsystemen reduzieren oder Blendungen in architektonischen Oberflächen minimieren. In der Astronomie oder bei lichtempfindlichen Messaufbauten könnte eine robuste, textilescale-fähige ultraschwarze Beschichtung helfen, parasitäre Reflexionen zu reduzieren und so die Signal-zu-Rausch-Verhältnisse zu verbessern.

Da der Prozess zugängliche Polymere wie Polydopamin und Plasmaätzen nutzt, erscheint der Weg zur industriellen Nutzung vielversprechend — dennoch müssen Haltbarkeit, Waschbeständigkeit und logistische Herausforderungen der großskaligen Fertigung gezielt getestet werden. Aspekte wie Abriebfestigkeit, Farbbeständigkeit bei Kontakt mit Körperfett oder chemischen Reinigern sowie die langfristige Stabilität der Nanostruktur unter wiederholtem Tragen sind zentrale Forschungsfragen, bevor eine breite Kommerzialisierung erfolgen kann. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach umweltverträglichen Produktionsketten: die Nachhaltigkeit der eingesetzten Polymere, Energiebedarf von Plasmaverfahren und Recyclingfähigkeit der behandelten Textilien sind relevante Kriterien für eine verantwortungsbewusste Skalierung.

Die veröffentlichte Studie in Nature Communications beansprucht zwar nicht, das ultimative Schwarz gefunden zu haben, zeigt aber einen praxisnahen Weg zu nahezu vollständiger Lichtabsorption auf flexiblen, tragbaren Fasern. Für Designer, Ingenieurinnen und Instrumentenbauer eröffnet das neue Möglichkeiten im Bereich ultra-niedriger Reflexionen, die einfacher zu produzieren sind als viele früher entwickelte ultraschwarze Technologien. Darüber hinaus schafft die Kombination aus Biomimikry, Polymerchemie und Oberflächentechnik eine übertragbare Methodik: Polydopamin-Beschichtung plus nanoskalige Topographie kann auf andere Naturfasern oder synthetische Garne adaptiert werden, was die Bandbreite potenzieller Anwendungen weiter erhöht.

Technisch betrachtet sind mehrere Faktoren entscheidend für die Leistung des Materials: die Absorptionsfähigkeit des Polymers, die Dichte und Morphologie der Nanofibrillen, die Dicke der Beschichtung sowie das Zusammenspiel zwischen Farbe und Struktur auf mehreren Längenskalen (von Nanometer- bis Mikrometerbereich). Messmethoden zur Bestimmung der Reflexionswerte umfassen Integrating-Sphere-Messungen sowie Winkel-resolved-Spektroskopie, um sowohl spektrale als auch winkelabhängige Reflexionsdaten zu erfassen. Reproduzierbarkeit in der Produktion erfordert eine präzise Kontrolle über Beschichtungsparameter, Gasphasenbedingungen beim Plasmaätzen und Nachbehandlungsschritte, etwa zur Setzung oder Versiegelung der Struktur.

Aus Sicht der Materialwissenschaft bietet die Arbeit auch methodische Impulse: Die Kombination aus chemischer Absorption (Polydopamin als Melanin-Analogon) und topografischer Lichtfalle (Nanofibrillen) demonstriert, wie synergistische Effekte auf unterschiedlichen Skalen genutzt werden können, um optische Eigenschaften drastisch zu verändern. Solche Konzepte sind nicht auf Textilien beschränkt und könnten für ultramatte Beschichtungen in Optik, Sensorik oder Energieanwendungen relevant sein — zum Beispiel bei der Minimierung von Reflexionen an Solarpanelen oder bei der Verbesserung von Lichtmanagement in Leuchtmitteln.

Schließlich bleibt zu beachten, dass die Übertragung in industrielle Textillinien zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt: Walzen- oder Sprühbeschichtungsprozesse, kontinuierliche Plasmaanlage-Designs und Qualitätssicherung über lange Stoffbahnen müssen entwickelt werden. Gleichzeitig sind regulatorische Aspekte wie Arbeitssicherheit bei der Handhabung von Nanostrukturen, die Umweltverträglichkeit von Beschichtungschemikalien und die Entsorgung behandelter Textilien zu klären. Ein enges Zusammenspiel von Forschung, Industriepartnern und Regulierungsbehörden wird nötig sein, um den Übergang von Laborproben zu marktfähigen Produkten zu ermöglichen.

Quelle: sciencealert

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