Parodontitis und Gehirn: WMH im MRT bei älteren Menschen

Parodontitis und Gehirn: WMH im MRT bei älteren Menschen

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Neue Forschungen verbinden chronische Zahnfleischentzündungen mit subtilen Hinweisen auf Hirnschädigung, die in MRT-Aufnahmen sichtbar sind. Dieses Ergebnis fügt der wachsenden Evidenz hinzu, dass Mundgesundheit Gedächtnis, Gleichgewicht und das Schlaganfallrisiko älterer Menschen beeinflussen kann — und es wirft eine praktische Frage auf: Könnte ein Zahnarztbesuch Teil der Vorsorge für die Gehirngesundheit sein?

Was die Studie fand — und warum Neurologen aufmerksam sind

In der am 22. Oktober 2025 in Neurology Open Access veröffentlichten Studie, geleitet von Forschenden der University of South Carolina, wurden 1.143 Erwachsene mit einem Durchschnittsalter von 77 Jahren untersucht, um Zusammenhänge zwischen Parodontitis und altersüblichen Hirnveränderungen zu erforschen. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer erhielt eine zahnärztliche Untersuchung mit systematischer Befunderhebung des Zahnfleisches; bei 800 Personen wurde Parodontitis diagnostiziert, bei 343 nicht. Alle Probanden unterzogen sich zusätzlich einer Kopf-MRT, um Marker der zerebralen Kleingefässkrankheit (cerebral small vessel disease) quantitativ zu erfassen.

Das deutlichste Ergebnis: Personen mit Zahnfleischerkrankung hatten eine höhere Last an sogenannten white matter hyperintensities (WMHs) — helle Bereiche in speziellen MRT-Sequenzen, die auf Schädigungen der weißen Substanz hinweisen. Im Mittel machten WMHs 2,83 % des gemessenen Hirnvolumens bei Menschen mit Parodontitis aus gegenüber 2,52 % bei jenen ohne. Bei einer Einteilung nach WMH-Volumen landeten 28 % derjenigen mit Parodontitis in der Gruppe mit der höchsten Schadenslast, verglichen mit 19 % derjenigen ohne Parodontitis. Diese Differenz deutet auf einen relevanten Effekt in der Population hin, der in Zusammenhang mit zahnfleischbedingter Entzündung stehen könnte.

White matter hyperintensities erklärt: warum diese MRT-Punkte wichtig sind

Die weiße Substanz des Gehirns ist die Informationsautobahn — Bündel von Nervenfasern (Axonen), die verschiedene Hirnregionen verbinden und schnelle Signalübertragung ermöglichen. White matter hyperintensities erscheinen in bestimmten MRT-Sequenzen als helle, hyperintense Areale und werden häufig als Zeichen kleiner Gefäßschäden, chronischer Entzündungsprozesse oder Gewebeverletzungen interpretiert. Klinisch korreliert eine höhere WMH-Last mit verlangsamter Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnisverlust, Gangstörungen und einem erhöhten Schlaganfallrisiko, was ihren Stellenwert als radiologischer Marker für kognitive und motorische Folgen unterstreicht.

Pathophysiologisch stehen WMHs im Zusammenhang mit Mikroangiopathie, Demyelinisierung, Gliose und lokal eingeschränkter Perfusion der weißen Substanz. Systemische Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP) und proinflammatorische Zytokine (z. B. IL-6) werden ebenfalls mit einer höheren WMH-Last assoziiert, was die plausible Rolle chronischer Entzündungsquellen — darunter Parodontitis — beim Fortschreiten weißer Substanzschäden unterstreicht. Wichtig ist, dass die Studie keine Verbindung zwischen Parodontitis und anderen Markern der Kleingefässkrankheit wie zerebralen Mikroblutungen oder lakunären Infarkten fand. Diese Spezifität spricht dafür, dass Parodontitis möglicherweise einen bestimmten Schadenstyp der weißen Substanz fördert — vermutlich über inflammatorische oder vaskuläre Mechanismen — doch das Studiendesign erlaubt keine kausale Schlussfolgerung.

Studiendesign und zentrale Zahlen

Die Forschenden kontrollierten statistisch für gängige Confounder wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Hypertonie, Diabetes mellitus und Rauchstatus. Nach Anpassung war Parodontitis mit einer um 56 % höheren Wahrscheinlichkeit verbunden, in der Subgruppe mit den umfangreichsten weißen Substanzveränderungen zu liegen. Solche adjustierten Assoziationen unterstützen die Robustheit des Befundes gegenüber bekannten Risikofaktoren für Gefäßschäden.

Gleichwohl handelt es sich um eine Querschnittsanalyse: Zahnärztliche Befunde und MRT-Messungen wurden zu einem einzigen Zeitpunkt erhoben, sodass lediglich eine Korrelation sichtbar ist, nicht aber eine zeitliche Abfolge oder Kausalität. Weitere Limitationen, die die Autorinnen und Autoren anführen, umfassen mögliche Messvariabilität in der parodontalen Einstufung, Schwierigkeiten, lebenslange Mundgesundheit aus einer einzigen klinischen Untersuchung zuverlässig zu rekonstruieren, sowie die Tatsache, dass biologische Mechanismen — etwa direkte mikrobielle Einschleppung, endotoxische Effekte oder spezifische inflammatorische Signalwege — in dieser Arbeit nicht direkt untersucht wurden. Diese offenen Fragen machen deutlich, welche Folgestudien erforderlich sind, um Mechanismen zu klären und potenzielle Interventionsziele zu identifizieren.

Warum das für die öffentliche Gesundheit und die alltägliche Versorgung wichtig ist

Parodontitis ist weit verbreitet, größtenteils vermeidbar und behandelbar. Weltweit leiden Millionen Menschen an moderaten bis schweren Formen der Erkrankung; in älteren Altersgruppen ist die Prävalenz besonders hoch. Wenn Folgeuntersuchungen — insbesondere longitudinale Kohortenstudien und randomisierte Interventionsstudien — bestätigen, dass orale Entzündungen zur Schädigung der weißen Substanz beitragen, könnte verbesserte zahnmedizinische Versorgung ein pragmatischer Ansatz sein, um kognitiven Abbau und Schlaganfallrisiko in der Bevölkerung zu verringern. Aus gesundheitspolitischer Sicht würde dies präventive Zahnmedizin, niedrigschwellige Versorgungsangebote und die Integration von Mundgesundheit in geriatrische Betreuungsprogramme attraktiver machen.

Für Klinikerinnen und Patienten sendet die Studie eine handlungsorientierte Botschaft: Gute Mundhygiene ist kostengünstig, hat ein geringes Risiko und könnte Vorteile über den oralen Bereich hinaus bieten. Basishygiene, regelmäßige professionelle Zahnreinigung, frühzeitige Therapie von Parodontitis sowie das Management von Begleiterkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck tragen nicht nur zur Zahngesundheit bei, sondern reduzieren auch allgemeine vaskuläre Risiken. Versorgungsstrategien, die Zahnmedizin, Hausärzte und Neurologen verbinden, könnten besonders bei älteren, multimorbiden Patienten sinnvoll sein.

Wie Studienautor Dr. Souvik Sen von der University of South Carolina anmerkt: „Diese Studie zeigt einen Zusammenhang zwischen Parodontitis und white matter hyperintensities, was darauf hindeutet, dass Mundgesundheit eine Rolle für die Gehirngesundheit spielen könnte, die wir erst beginnen zu verstehen.“ Er betont, dass weitere Forschung nötig sei, um zu überprüfen, ob eine Behandlung der Parodontitis das Fortschreiten der zerebralen Kleingefässkrankheit verlangsamt oder das Auftreten klinischer Folgen wie kognitiver Beeinträchtigungen und Schlaganfällen reduziert.

Expertinnen- und Experteneinschätzung

„Der Zusammenhang zwischen systemischer Entzündung und Gehirnalterung zeichnet sich seit Jahren ab“, sagt Dr. Laura Chen, Geriatrische Neurologin und Wissenschaftskommunikatorin. „Parodontitis setzt proinflammatorische Moleküle und bakterielle Komponenten frei, die in den Blutkreislauf gelangen können. Über Dekaden könnte dies kleine Gefäßschäden im Gehirn beschleunigen.“ Der vielversprechende Aspekt sei, dass orale Erkrankungen modifizierbar seien: Bessere zahnärztliche Versorgung und Prävention könnten ein realistisches Hebelwerkzeug sein, um kognitive und motorische Funktionen im höheren Lebensalter zu schützen. Dr. Chen empfiehlt regelmäßige zahnärztliche Kontrollen sowie einfache Maßnahmen für zu Hause wie tägliches Zähneputzen, Interdentalreinigung (z. B. Zahnseide) und das konsequente Management von Diabetes und Blutdruck, da diese Maßnahmen nachgewiesenermaßen vaskuläre Risiken senken.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ergeben sich mehrere sinnvolle Forschungsrichtungen: longitudinale MRT-Studien, die WMH-Veränderungen über Jahre verfolgen; randomisierte, kontrollierte Studien, die testen, ob eine parodontale Therapie das WMH-Wachstum verlangsamt; und molekulare Untersuchungen, die inflammatorische Signalwege und mögliche mikrobielle Translokation vom Mund in das Zentralnervensystem kartieren. Zusätzlich wären multizentrische Kohorten mit diversen Bevölkerungsgruppen hilfreich, um sozioökonomische Determinanten, Versorgungszugang und ethnische Unterschiede in der Mund- und Gehirngesundheit zu berücksichtigen.

Kurzfristig lautet das Fazit: Mundgesundheit ist ein wichtiger, umsetzbarer Teil der allgemeinen Gesundheitsvorsorge. Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Parodontitis könnten potenziell weitreichende Vorteile haben, die über Kariesvermeidung und Zahnerhalt hinausgehen — und möglicherweise die Belastung durch kognitive Erkrankungen und Schlaganfälle im Alter reduzieren.

Quelle: scitechdaily

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