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Eine neue groß angelegte Analyse von Mass General Brigham hat zwei der meistdiskutierten Diabetesmedikamente—tirzepatid und semaglutid—direkt verglichen und festgestellt, dass beide offenbar das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse senken. Auf Basis der Real‑World‑Gesundheitsdaten von fast einer Million Patientinnen und Patienten liefert die Studie neue, klinisch nützliche Erkenntnisse darüber, wie diese Medikamente außerhalb randomisierter Studien wirken.
Real‑World‑Daten zeigen frühen Herzschutz
Die Forscher analysierten nationale Abrechnungsdaten für Erwachsene mit Typ‑2‑Diabetes, die mit tirzepatid, semaglutid oder anderen häufig verschriebenen Wirkstoffen behandelt wurden. Veröffentlicht in Nature Medicine und vorgestellt auf den Scientific Sessions 2025 der American Heart Association zeigt die Studie, dass beide Präparate mit deutlichen Verringerungen von Herzinfarkt, Schlaganfall und Gesamtmortalität im Vergleich zu anderen Therapien verbunden sind.
Im Detail war semaglutid mit einem um 18% geringeren kombinierten Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt im Vergleich zu sitagliptin assoziiert, einem Wirkstoff, der als kardiovaskulär neutral gilt. Tirzepatid zeigte ebenfalls einen signifikanten Vorteil—etwa eine 13%ige Reduktion des kombinierten Risikos von Schlaganfall, Herzinfarkt und Tod im Vergleich zu dulaglutid, einem etablierten GLP‑1‑Rezeptoragonisten. Diese Effekte traten früh nach Behandlungsbeginn auf, was darauf hindeutet, dass die Vorteile über den reinen Gewichtsverlust hinausgehen können.
Warum Real‑World‑Evidence wichtig ist
Randomisierte kontrollierte Studien sind der Goldstandard zur Bestimmung der Wirksamkeit von Medikamenten, doch sie können Jahre dauern und rekrutieren oft eng definierte Patientengruppen. Diese Studie nutzte routinemäßig erhobene klinische und Abrechnungsdaten, um Outcomes bei Patientinnen und Patienten zu erfassen, die die Versorgung in der täglichen Praxis besser repräsentieren. Wie Nils Krüger, MD, einer der leitenden Untersucher, erklärte, kann die Nutzung von Real‑World‑Daten zeitkritische Fragen beantworten und Klinikern helfen zu verstehen, wie neue Wirkstoffe bei typischen Patienten wirken.

Wie tirzepatid und semaglutid sich vergleichen — und was unklar bleibt
Tirzepatid und semaglutid greifen beide in Signalwege ein, die Insulin, Appetit und Stoffwechsel beeinflussen. Semaglutid ist ein GLP‑1‑Rezeptoragonist; tirzepatid kombiniert GLP‑1‑Wirkung mit einem zweiten glukosesenkenden Mechanismus (GIP‑Agonismus). Während frühere Studien bereits nahelegen, dass semaglutid kardiovaskuläre Ereignisse reduziert, waren direkte Vergleiche der beiden Wirkstoffe bisher rar.
Die neue Analyse ergab nur moderate Unterschiede in der kardioprotektiven Wirkung zwischen tirzepatid und semaglutid bei Patientinnen und Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Das deutet darauf hin, dass beide Medikamente als herzschützende Behandlungsoptionen in der Routineversorgung betrachtet werden können, statt dass eines der Präparate eindeutig überlegen wäre. Die genauen biologischen Mechanismen, die diese frühen kardiovaskulären Vorteile erzeugen, sind jedoch noch nicht vollständig geklärt und bedürfen weiterer Forschung.
Folgerungen für Kliniker und Patienten
- Kliniker haben nun stärkere Real‑World‑Evidenz, dass die Verschreibung von semaglutid oder tirzepatid das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse bei Menschen mit Typ‑2‑Diabetes und erhöhtem Risiko reduzieren kann.
- Die Vorteile zeigen sich früh, sodass frühe therapeutische Entscheidungen sowohl das kurzfristige Risiko als auch langfristige Outcomes beeinflussen können.
- Die Wahl des Wirkstoffs sollte individuelle Patientenbedürfnisse berücksichtigen—Gewichtsreduktionsziele, Nebenwirkungsprofil, Kosten und Zugänglichkeit—da beide Wirkstoffe kardioprotektives Potenzial bieten.
Shirley Wang, PhD, leitende Epidemiologin im Team, betonte die Transparenz der Studie: Die Forschenden haben ihr Protokoll vorregistriert und den Analysecode geteilt, um die offene wissenschaftliche Diskussion zu fördern. Dieser Ansatz hilft Klinikern und politischen Entscheidungsträgern, die Ergebnisse im Kontext zu bewerten und unterstützt die Reproduzierbarkeit.
Experteneinschätzung
„Große beobachtende Studien wie diese ersetzen keine randomisierten klinischen Studien, bieten aber eine wichtige ergänzende Perspektive darauf, wie Therapien in der täglichen Praxis wirken“, sagt Dr. Karen Mitchell, eine fiktive klinische Kardiologin und Diabetes‑Spezialistin. „Für geeignete Patientinnen und Patienten stärken diese Ergebnisse das Argument, GLP‑1‑basierte Therapien in eine Strategie zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos einzubeziehen—neben Lebensstilmaßnahmen und anderen Risikofaktortherapien.“
Zukünftige Arbeiten müssen die Mechanismen genauer untersuchen—werden die kardioprotektiven Effekte durch Veränderungen von Blutzucker, Blutdruck, Entzündungsprozessen, Gerinnung oder durch direkte Effekte auf das Gefäßsystem vermittelt? Laufende und geplante randomisierte Studien, mechanistische Versuche und fortgesetzte Real‑World‑Überwachung werden entscheidend sein, um diese Fragen zu beantworten und eine präzise, personalisierte Anwendung dieser vielversprechenden Präparate zu ermöglichen.
Quelle: scitechdaily
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