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Neue hochauflösende Aufnahmen der ESA-Sonde Mars Express zeigen eindrucksvolle glaziale Spuren in der Region Coloe Fossae. Diese Beobachtungen liefern überzeugende Hinweise darauf, dass Mars einst weitreichende Eisvorstöße erlebte, die bis in die mittleren Breiten des Planeten reichten. Die sichtbaren Oberflächennarben – Rillen, Rücken und mit Material gefüllte Krater – bilden eine aussagekräftige Chronik antiker marsianischer Eiszeiten, die durch Veränderungen der Rotationsachse (Obliquität) des Planeten angetrieben wurden. Die Bilder und Geländedaten erlauben es, Ablagerungs- und Flussmuster zu analysieren und so Paläoklima, Eisdynamik und mögliche Ressourcen für künftige Missionen besser zu verstehen.
Reading the Martian Landscape: Coloe Fossae’s Grooves and Ridges
Geht man vom Marsäquator nach Norden in Richtung der nördlichen Ebenen, sticht die Region Coloe Fossae deutlich hervor: lange, flache Tröge durchschneiden ein Relief, das von steilen Tälern und Einschlagskratern durchsetzt ist. In den jüngsten HRSC-Aufnahmen sind diese Tröge von annähernd parallelen Linien und welligen Texturen durchzogen – geologische Merkmale, die auf früher fließendes Eis und eisreiches Material in der Landschaft hinweisen. Die räumliche Anordnung dieser Strukturen, ihre Orientierung gegenüber Hangneigungen und die Beziehung zu angrenzenden Formationen liefern wichtige Hinweise zur Flussrichtung und zu Ablagerungsprozessen.
Einige der sichtbaren Linien stellen tektonische Verwerfungen dar, bei denen abwechselnde Krustenblöcke eingesunken sind und so die charakteristischen Fossae gebildet haben. Innerhalb der Täler und auf den Böden von Kratern zeichnet sich jedoch ein anderes Bild ab: Oberflächenstrukturen, die den Fließ- und Begräbungsmustern eisigen Materials ähneln – Befunde, die Planetenwissenschaftler von terrestrischen Gletschern und glazialen Ablagerungen kennen. Durch vergleichende Morphologie lassen sich Einflüsse wie Sublimation, Schuttbedeckung und sedimentäre Entmischung unterscheiden, was die Interpretation der Geschichte dieser Eismassen erleichtert.

Diese Ansicht wurde aus dem digitalen Geländemodell sowie den Nadir- und Farbkanälen der High Resolution Stereo Camera (HRSC) der ESA-Sonde Mars Express erzeugt. Sie zeigt einen Vogelperspektiven-Blick auf die Region Coloe Fossae des Mars, insbesondere die welligen Linien, die den Fluss von Material während einer früheren marsianischen Eiszeit markieren. Das Fehlen von Einschlagskratern in dem niedrigen Gelände am Fuß der Klippe weist darauf hin, dass diese Oberfläche deutlich jünger ist als das stärker verkraterte Hochland. Quelle: ESA/DLR/FU Berlin
What the Patterns Mean: Lineated Valley Fill and Concentric Crater Fill
Planetengeologen verwenden spezielle Begriffe für die in den Coloe Fossae-Aufnahmen sichtbaren Texturen. "Lineated valley fill" beschreibt lineare, flussartige Ablagerungen, die Täler ausfüllen und parallel laufende Strukturen aufweisen. "Concentric crater fill" bezieht sich auf geschichtete, ringförmige Ablagerungen innerhalb von Einschlagsbecken. Beide Formentypen entstehen, wenn eisiges Material, oft gemischt mit Lockergestein und Schutt, langsam talwärts fließt und anschließend von einer Decklage aus Trümmerschutt überdeckt wird. Diese Prozesse führen zu charakteristischen Oberflächenmustern, zu sichtbaren Rillen und zu einer schichtweisen Gliederung, die durch stereoskopische Auswertung gut erfasst werden kann.
Auf der Erde hinterlassen Gletscher ähnliche Strukturen, wenn sie vorrücken und zurückweichen: Moränen, Rillen, geschliffene Felsen und eine typische Talfüllung. Auf dem Mars unterscheidet sich die treibende Kraft hinter großräumiger Eistransportation jedoch maßgeblich: Langfristige Änderungen orbitaler Parameter – insbesondere der Achsneigung (Obliquität) – verändern die Einstrahlung und die Lage kalter Fallen (cold traps) und bewirken so die Umlagerung von Wassereis zwischen Polen und mittleren Breiten über Hunderttausende bis Millionen von Jahren. Diese zyklischen Änderungen können zu wiederholten Eisvorstößen und -rückzügen führen, die in der Landschaft Spuren hinterlassen haben, die heute mit HRSC- und Geländemodellen rekonstruiert werden.

Dieses Bild zeigt die Coloe Fossae-Region des Mars im weiteren Kontext. Es illustriert die Trennlinie zwischen den nördlichen Niederungen und den südlichen Hochländern des Planeten. Diese Grenze umschließt den gesamten Planeten; an einigen Stellen ist sie als scharfe, zwei Kilometer hohe Steilklippe ausgebildet, an anderen – wie hier – als breiter, zerklüfteter Übergangsbereich (bekannt als Protonilus Mensae). Der blau eingefärbte Bereich im oberen Teil des Bildes markiert den Beginn der Niederungen, die große Teile der nördlichen Hemisphäre bedecken. Der gelb-orangefarbene Bereich darunter zeigt den Beginn der Hochländer, die den Süden dominieren. Das von der größeren weißen Markierung umschlossene Feld bezeichnet das Gebiet, das von der High Resolution Stereo Camera (HRSC) an Bord von ESA’s Mars Express am 19. Oktober 2024 (Orbit 26257) aufgenommen wurde; die kleinere weiße Markierung innerhalb zeigt den Bereich, der in den im November 2025 veröffentlichten Detailbildern zu sehen ist. Quelle: NASA/MGS/MOLA Science Team
Mars’s Tilt: The Engine Behind Ancient Ice Ages
Im Unterschied zur Erde, deren Achsneigung durch den Erdmond stabilisiert wird, variiert die Obliquität des Mars über geologische Zeiträume beträchtlich. Diese Kippschwankungen haben tiefgreifende klimatische Auswirkungen: Bei höheren Obliquitäten wird polares Eis instabil und sublimiert, während die mittleren Breiten Gelegenheiten zur Akkumulation saisonaler und langfristiger Eisablagerungen bieten. In Phasen niedriger Obliquität kehrt das Eis tendenziell wieder in die Polarregionen zurück. Diese dynamische Umlagerung erklärt, warum wir heute Eisrelikte weit entfernt von den gegenwärtigen Polkappen finden.
Die Formationen in Coloe Fossae, die sich rund um 39° Nord ausbreiten, sind besonders aussagekräftig, weil sie eisbezogene Ablagerungen zeigen, die weit von den heutigen Polkappen entfernt liegen. Die Verteilung von lineated valley fill und concentric crater fill über die mittleren Breiten spricht für wiederholte Phasen von Gletschervorstoß und -rückzug. Einige Studien legen nahe, dass die jüngste bedeutende Gletscherperiode in den mittleren Breiten des Mars erst vor einigen Hunderttausend Jahren endete, wodurch diese Ablagerungen zu den jüngsten großräumigen Eiszeugnissen auf dem Planeten zählen könnten. Solche relativen Altersabschätzungen beruhen auf Kraterzählung, Morphologie und stratigraphischen Beziehungen.

Dieses farbkodierte topografische Bild zeigt die Coloe Fossae-Region des Mars. Es wurde aus Daten erzeugt, die von ESA’s Mars Express am 19. Oktober 2024 (Orbit 26257) gesammelt und auf einem digitalen Geländemodell der Region basiert wurden, aus dem die Topographie abgeleitet werden kann. Tieferliegende Bereiche erscheinen in Blau- und Violetttönen, während höher gelegene Regionen in Weiß- und Rottönen dargestellt sind, wie es in der Skala oben rechts ersichtlich ist. Solche Farbkodierungen unterstützen die Interpretation von Flussrichtungen, Einzugsgebieten und relativen Höhenunterschieden, die für die Rekonstruktion glazialer Prozesse essenziell sind. Quelle: ESA/DLR/FU Berlin
Why These Discoveries Matter
Das Verständnis, wo und wann Eis auf dem Mars akkumulierte, beantwortet mehrere wissenschaftliche und praktische Fragestellungen. Erstens verfeinert es unser Bild von Mars’ Klimageschichte und von der Geschwindigkeit, mit der sich Umweltbedingungen verändert haben. Zweitens stellt begrabenes Eis möglicherweise ein wichtiges Reservoir an Wasser dar, das für künftige robotische oder bemannte Missionen von praktischem Interesse ist – sowohl als Ressource für Lebenserhaltungssysteme als auch als Rohstoff für Treibstoffgewinnung. Drittens beeinflusst das Vorhandensein und die Erhaltung eisbezogener Sedimente die Suche nach konservierten organischen Substanzen oder Biosignaturen: Eis kann chemische Signale sowohl schützen als auch verändern, wodurch bestimmte Untersuchungsstrategien erforderlich werden.
Darüber hinaus hilft das Kartieren der Grenze zwischen den nördlichen Niederungen und den südlichen Hochländern – insbesondere in Übergangszonen wie Protonilus Mensae – Forschern dabei, Oberflächenmorphologie mit Klimamodellen zu verknüpfen. Diese Karten, die aus Stereo- und Farbkanälen erstellt wurden, bieten den topografischen Kontext, der nötig ist, um Fließmuster zu interpretieren, die Ablagerungsdicke abzuschätzen und relative Altersverhältnisse der Ablagerungen gegenüber stark verkraterter Hochlandoberfläche zu bestimmen. In Kombination mit Radardaten oder thermischen Messungen lassen sich Aussagen zur Mächtigkeit des Eises und zur Tiefe der Überdeckung treffen.

Dieses stereoskopische Bild zeigt Coloe Fossae auf dem Mars. Es wurde aus Daten der High Resolution Stereo Camera an Bord von ESA’s Mars Express am 19. Oktober 2024 (Orbit 26257) generiert. Das Anaglyphenbild liefert eine dreidimensionale Ansicht, wenn es mit Rot-Grün- oder Rot-Blau-Brillen betrachtet wird. Solche 3D-Visualisierungen sind besonders hilfreich, um Steilheit, Hangneigungen und Tiefenverhältnisse zu beurteilen – Parameter, die Rückschlüsse auf potenzielle Fließgeschwindigkeiten und Eisdynamik ermöglichen. Quelle: ESA/DLR/FU Berlin
Mission Notes: How the Images Were Produced
Die hier gezeigten Aufnahmen stammen von der High Resolution Stereo Camera (HRSC) an Bord der ESA-Sonde Mars Express. Entwickelt und betrieben vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), erfasst die HRSC simultan Stereo-, Farb- und Nadirkanäle, die zu digitalen Geländemodellen (DTMs) und hochdetaillierten Bildprodukten verarbeitet werden. Die systematische Verarbeitung der HRSC-Daten erfolgt am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof; die endgültigen Bildprodukte werden in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Planetary Science and Remote Sensing an der Freien Universität Berlin erstellt. Diese Prozesse umfassen radiometrische Kalibrierung, geometrische Korrektur, Stereo-Matching und die Erzeugung von Orthofotos sowie topografischen Höhenmodellen, die dann für geologische Interpretationen genutzt werden.
Zur Erzeugung der gezeigten Produkte werden zudem Validierungs- und Qualitätskontrollschritte durchgeführt: Abgleich mit bestehenden MOLA-Höhenprofilen (Mars Orbiter Laser Altimeter), Prüfung auf geometrische Verzerrungen und die Integration von Farb- und Kontrastanpassungen, um geomorphologische Details hervorzuheben. Die Kombination aus Hochauflösung und Stereoinformation macht HRSC-Daten besonders wertvoll für die Identifikation von lineierten Talfüllungen und konzentrischen Kraterfüllungen, da beide Formaltypen durch ihre Topographie klar unterscheidbar sind.
Expert Insight
„Diese Bilder erinnern eindrücklich daran, dass das Klima des Mars dynamisch und regional unterschiedlich war“, erläutert Dr. Laura Mendes, eine auf eisige Prozesse spezialisierte Planetengeologin (fiktiv). „Lineated valley fill und concentric crater fill sind keine bloßen Kuriositäten – sie dokumentieren, wie orbitale Zyklen Eis über den Mars verteilt haben. Diese Aufzeichnungen helfen uns, Klimamodelle zu testen und Orte zu identifizieren, an denen erhaltenes Eis möglicherweise noch unter einer dünnen Schuttschicht zugänglich ist.“
Die neuen HRSC-Datensätze vom 19. Oktober 2024 (Orbit 26257) und die im November 2025 veröffentlichten Verarbeitungen liefern zusätzliche Klarheit zur zeitlichen Abfolge und räumlichen Ausdehnung dieser glazialen Episoden. In laufenden Studien werden diese Beobachtungen mit Kraterzähl-Datierungen, Radaruntersuchungen des Untergrunds und Klimasimulationen kombiniert, um präzisere Schätzungen darüber zu erhalten, wann Eis in die mittleren Breiten vordrang und wie lange es dort verharrte. Solche interdisziplinären Ansätze sind nötig, um Entstehungsmodelle zu validieren und Unsicherheiten in relativen Altersbestimmungen zu reduzieren.
Next Steps and Broader Implications
Zukünftige Arbeiten werden diese hochauflösenden visuellen und topografischen Karten mit bodennahen und orbitalen Schallmessungen (beispielsweise SHARAD an Bord des Mars Reconnaissance Orbiter) sowie thermischen Datensätzen verknüpfen, um geringe Eisstärken und die Mächtigkeit der Überdeckung besser einzugrenzen. Wenn sich Modelle zur Obliquitätsgeschichte des Mars weiter verbessern, können Forscher bestimmte glaziale Ablagerungen mit modellierten Klimaintervallen korrelieren und somit eine vollständigere Chronik der marsianischen Eiszeiten erstellen. Dies beinhaltet auch Sensitivitätsanalysen, um die Rolle von Aerosolen, atmosphärischem Druck und lokaler Topographie bei der Eisakkumulation zu verstehen.
Über die reine Grundlagenforschung hinaus haben diese Erkenntnisse direkte Auswirkungen auf Missionsplanung und Exploration. Mittellatitudinale Regionen mit begrabenem Gletschereis könnten strategische Ziele für Missionen sein, die Wasserressourcen oder kaltkonserviertes organisches Material suchen. Die jüngeren Altersangaben für manche dieser Ablagerungen erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit, dass darin Spuren früherer chemischer oder biologischer Prozesse besser erhalten geblieben sind. Die neuen Aufnahmen von Coloe Fossae liefern somit nicht nur Hinweise zur Klimageschichte des Mars, sondern unterstützen auch praktische Bewertungen für zukünftige robotische und bemannte Erkundungen.
Die High Resolution Stereo Camera (HRSC) der Mars Express wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und wird dort betrieben. Die systematische Verarbeitung der Daten erfolgte am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof; die Arbeitsgruppe Planetary Science and Remote Sensing an der Freien Universität Berlin erstellte die finalen Bildprodukte, die hier präsentiert werden. Diese Kooperation zwischen Raumfahrtagentur, Forschungsinstituten und Universitätsgruppen ist ein Beispiel für multidisziplinäre Forschung, die Detailanalysen und verlässliche Interpretationen von planetaryen Datensätzen ermöglicht.
Quelle: scitechdaily
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