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Klimamodellierende warnen davor, dass die kommenden Jahrzehnte zu einem dramatischen Anstieg mehrjähriger Dürren führen könnten, die lokale Wasserversorgungen überfordern. Eine neue Studie des Institute for Basic Science (IBS) legt nahe, dass sogenannte „Day‑Zero‑Dürre“-Bedingungen — also Zeiträume, in denen der lokale Wasserbedarf die verfügbare Süßwassermenge aus Niederschlägen, Flüssen und Stauseen übersteigt — auf dem Kurs sind, hunderte Millionen Menschen weltweit zu betreffen. Die Analyse verbindet Klima-, Hydrologie- und Nutzungsdaten, um ein realistischeres Bild der operativen Wasserknappheit zu liefern, das für Wassermanager und Entscheidungsträger unmittelbar nutzbar ist.
Was die Forschenden modellierten und warum das wichtig ist
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IBS Center for Climate Physics nutzten hochaufgelöste Klimasimulationen und integrierte hydrologische Modelle, um abzuschätzen, wann und wo sogenannte Day‑Zero‑Dürre‑Ereignisse (DZD) erstmals eindeutig dem anthropogenen Klimawandel zugeordnet werden können. Durch die Kombination von Niederschlagsdefiziten, verringerten Flussabflüssen und steigendem Wasserverbrauch kartierten die Forschenden die „Time of First Emergence“ (ToFE) für DZD über Landflächen im Zeitraum 1900 bis 2100. Dabei wurden sowohl meteorologische als auch sozioökonomische Treiber berücksichtigt, um die Balance zwischen Angebot und Nachfrage realistisch abzubilden.
Die Analyse stützt sich auf zwei in der Klimaforschung häufig verwendete Treibhausgaspfade: SSP3‑7.0 und SSP2‑4.5. Diese Szenarien decken ein Spektrum möglicher zukünftiger Emissionsverläufe ab und erlauben es, die Sensitivität von Wassersystemen gegenüber Erwärmung und menschlicher Wassernachfrage zu testen. Indem verschiedene sozioökonomische Pfade gemeinsam mit physikalischen Klimaprojektionen betrachtet wurden, entsteht ein globales Bild entstehender Dürre‑Hotspots und der voraussichtlichen zeitlichen Abfolge ihrer ersten klima¬attribuierbaren Ereignisse. Solche Erkenntnisse sind entscheidend, weil sie nicht nur zeigen, wo Dürren intensiver werden könnten, sondern auch wann die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ereignisse menschengemacht sind, statistisch belastbar wird.

Time of First Emergence (ToFE) der Day‑Zero‑Dürre (DZD)-Bedingungen und globale Hotspot‑Regionen. (a) Räumliche Verteilung des dekadischen ToFE für DZD‑Ereignisse weltweit von 1900 bis 2100. Die Farbskala zeigt die erste Dekade, in der DZD statistisch dem anthropogenen Klimawandel zugeordnet werden kann, definiert als die erste Dekade, in der die Fraction of Attributable Risk größer als 0,99 ist (FAR ≥ 0,99). Graue Regionen kennzeichnen Rasterzellen, in denen vor 2100 kein dem anthropogenen Klimawandel zuzuschreibendes DZD‑Ereignis erwartet wird. (b) Runddiagramm zur zeitlichen Verteilung des ToFE nach Dekaden. Die Farbskala gibt den prozentualen Anteil der DZD‑Rasterzellen (Landflächen) an, die ihr ToFE in den jeweiligen Dekaden von 1900 bis 2100 erfahren. Diese Darstellung bietet einen Überblick über die zeitliche Verteilung des Auftretens und die Trends bei der Entstehung von DZD. Credit: Institute for Basic Science
Wer und welche Regionen sind am stärksten gefährdet?
Die Simulationen identifizieren DZD‑Hotspots, die sich über das gesamte Mittelmeerbecken erstrecken, weite Teile Südafrikas sowie markante Regionen in Nordamerika und Asien. In Mittelmeerländern sind städtische Zentren besonders exponiert, da Ballungsräume hohe Wassernachfrage mit oft begrenzter lokaler Ressource kombinieren. Gleichzeitig dürften ländliche Gemeinden in Nord‑ und Südafrika sowie in Teilen Asiens zu den besonders vulnerablen Gruppen gehören: dort fehlen häufig Infrastrukturreserven, Wasserwiederverwendungs‑Systeme und wirtschaftliche Puffer, die bei länger anhaltender Wasserknappheit Schutz bieten könnten.
Gemäß den Projektionen der Studie dürften Day‑Zero‑Dürren innerhalb der nächsten 15 Jahre in etwa 35% der identifizierten besonders gefährdeten Regionen auftreten. Bis zum Jahr 2100 schätzen die Forschenden, dass DZD‑Bedingungen etwa 750 Millionen Menschen weltweit bedrohen könnten — davon rund 470 Millionen in städtischen Gebieten und etwa 290 Millionen in ländlichen Regionen. Diese Zahlen dienen als Indikator für die Größenordnung des Risikos: sie zeigen, dass sowohl Bevölkerungsdichte als auch infrastrukturelle Verwundbarkeiten die potenziellen Auswirkungen stark beeinflussen. Zusätzlich variiert das Risiko lokal stark, abhängig von Wasser‑Management‑Praktiken, Bewässerungseffizienz, Grenzübergreifendem Wasserhandel und sozioökonomischer Anpassungsfähigkeit.
Auswirkungen auf Stauseen und Lebensgrundlagen
Über die reine Bevölkerungszahl hinaus hebt die Studie die Verwundbarkeit kritischer Infrastruktur hervor. Modellläufe deuten darauf hin, dass bei den ersten DZD‑Ereignissen rund 14% der großen Wasserspeicher austrocknen könnten. Ein Austrocknen zentraler Reservoirs würde nicht nur die Trinkwasserversorgung gefährden, sondern auch gravierende Folgen für Landwirtschaft, Energieerzeugung (z. B. Wasserkraft), Industrieprozesse und Ökosystemdienste haben. In Regionen, die stark von saisonaler Speicherung abhängig sind, können solche Ausfälle Kaskadeneffekte nach sich ziehen: Ernteausfälle, Verlust von Einkommen, verstärkte Migration und erhöhte Belastung sozialer Sicherungssysteme.
„Unsere Studie zeigt, dass die globale Erwärmung Day‑Zero‑Dürre‑Bedingungen verursacht und beschleunigt. Selbst wenn wir das 1,5‑°C‑Ziel erreichen, werden weiterhin Hunderte Millionen Menschen mit beispiellosen Wasserknappheiten konfrontiert sein“, sagte die Doktorandin Ms. Ravinandrasana, Erstautorin der Arbeit. Der korrespondierende Autor Prof. Christian Frankze ergänzte: „Aufgrund der zunehmenden Schwere hydrologischer Belastungen könnten bereits während ihrer ersten DZD‑Ereignisse 14% der großen Wasserreservoire austrocknen, mit schwerwiegenden Folgen für die Lebensgrundlagen der betroffenen Menschen.“ Solche Aussagen unterstreichen die Dringlichkeit, sowohl Emissionen zu reduzieren als auch die Widerstandsfähigkeit der Wasserinfrastruktur zu erhöhen, um menschliche und ökonomische Verluste zu minimieren.
Wissenschaftliche Grundlagen der Projektionen
Um das Auftreten von DZD zu verfolgen, berechnete das Forschungsteam in jeder Rasterzelle dekadisch die Fraction of Attributable Risk (FAR) und identifizierte die erste Dekade, in der FAR ≥ 0,99 erreicht wird. Diese statistische Schwelle signalisiert eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass beobachtete Dürrebedingungen eher mit menschengemachtem Klimawandel als alleiniger natürlicher Variabilität verknüpft sind. Die Berechnung der FAR basiert auf Ensemble‑Simulationen, die gezielt gegen natürliche Schwankungen und modellbedingte Unsicherheiten kalibriert werden, sodass die Zuweisung belastbarer wird.
Indem die Forschenden hydrologischen Stress (Angebotsdefizit) mit sozioökonomischen Nachfrageszenarien verknüpften, bietet die Studie eine operational relevantere Perspektive als Modelle, die sich ausschließlich auf Niederschlagsdaten beschränken. Die Kopplung ermöglicht es, Schwellenwerte für lokale Wasserversorgungen zu definieren — also genau jene Zeitpunkte, an denen Nachfrage und verfügbare Ressource aus dem Gleichgewicht geraten. Diese Methodik verbessert die Anwendbarkeit der Ergebnisse für Wassermanager, Planer und politische Entscheidungsträger, weil sie Handlungsbedarf und zeitliche Dringlichkeit klarer ausweist.
Technisch betrachtet berücksichtigt das Modell sowohl Oberflächenabfluss als auch Grundwasserneubildung, Verdunstungsverluste und Speicherwirkungen großer Reservoirs. Ferner wurden unterschiedliche Nutzungspraktiken (z. B. Bewässerungsintensität, städtischer Verbrauch pro Kopf) in die Nachfragekomponente integriert. Solche Integrationsansätze erhöhen die Aussagekraft der Projektionen, bergen aber auch Unsicherheiten — etwa hinsichtlich künftiger technischer Innovationen, veränderter Nutzungsregeln oder politischer Maßnahmen, die die tatsächliche Nachfrageentwicklung beeinflussen können. Daher liefern die Ergebnisse ein wissenschaftlich fundiertes, aber bewusst vorsichtiges Bild der potenziellen Zukunftsszenarien.
Was Städte und Staaten tun können
Fachleute betonen eine Kombination aus Emissionsminderung und Anpassung. Die Reduktion der Treibhausgase bleibt zentral, um das Ausmaß und das Tempo der DZD‑Entstehung zu begrenzen. Parallel dazu können praktisch umsetzbare Maßnahmen im Wassermanagement die unmittelbaren Auswirkungen abschwächen: bessere Leckageüberwachung und -reduktion in Verteilungsnetzen, Diversifizierung der Wasserquellen (Wiederverwendung, Entsalzung dort, wo sie technisch und ökonomisch sinnvoll ist), restriktive Maßnahmen zur Nachfragesteuerung in Dürrezeiten sowie Investitionen in zusätzliche Stauspeicher und die gezielte Grundwasseranreicherung.
Langfristige Strategien umfassen auch die Überarbeitung von Wasserrechtsrahmen, integratives Flussgebietsmanagement und grenzüberschreitende Kooperationen bei Flusssystemen. Frühwarn‑ und Monitoring‑Systeme sind essenziell, um Reservoir‑Stände, Flussabflüsse und Bodenfeuchte in Echtzeit zu verfolgen sowie adaptive Bewirtschaftungsentscheidungen zu ermöglichen. Solche Systeme sollten mit sozioökonomischen Indikatoren verknüpft werden, damit Maßnahmen zielgerichtet und sozialverträglich umgesetzt werden können.
- Priorisieren Sie Frühwarn‑ und Überwachungssysteme, die Reservoirstände, Flussabflüsse und Bodenfeuchte in Echtzeit integrieren.
- Investieren Sie in effiziente Bewässerungstechniken, urbane Wasserwiederverwendung und wassersparende Infrastruktur, um vorhandene Ressourcen zu strecken.
- Planen Sie soziale und ökonomische Maßnahmen, insbesondere für Ernährungssicherheit und einkommensschwache Gemeinschaften, die bei Wasserknappheit besonders betroffen sind.
Expertinnen‑ und Experteneinschätzung
„Das Konzept eines Day‑Zero macht die abstrakte Idee von Dürre unmittelbar und lokal sichtbar“, sagt Dr. Lena Ortiz, eine Wasserressourcenwissenschaftlerin, die nicht an der Studie beteiligt war. „Was diese Arbeit ergänzt, ist die zeitliche Einordnung: sie zeigt, wo diese DZD‑Kipppunkte voraussichtlich zuerst auftreten, was für die Planung unerlässlich ist. Selbst bei erfolgreicher Klimaminderung werden einige Regionen schnelle Anpassungen benötigen, um humanitäre Krisen zu vermeiden.“
Mit zunehmender Erderwärmung unterstreicht diese Forschung eine beunruhigende Realität: Day‑Zero‑Dürren sind keine rein hypothetischen Zukunftsszenarien, sondern treten bereits als sich herausbildende Ereignisse auf, die Wassersysteme, Institutionen und Gemeinschaften auf die Probe stellen werden. Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend dafür, wie viele Menschen unter schwerer Wasserknappheit leiden und wie effektiv Gesellschaften auf diese Herausforderung reagieren. Um die Resilienz zu stärken, sind koordinierte, wissenschaftlich informierte Maßnahmen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene notwendig — insbesondere in den identifizierten Hotspot‑Regionen.
Quelle: scitechdaily
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