5 Minuten
Ein rätselhaftes Fossil namens Paradoxophidion stellt die Fragen zur Evolution moderner Schlangen neu: Eine aktuelle Neubewertung von Museumsstücken legt nahe, dass dieses Fossil zu den ältesten Vertretern der Caenophidia gehören könnte — doch seine taxonomische Stellung und sein Lebenswesen bleiben ungewiss. Die Entdeckung reizt Paläontologen, weil sie potenziell Lücken in unserem Verständnis der Schlangen-Evolution schließen oder aber komplexere evolutionäre Szenarien aufzeigen könnte, einschließlich mehrerer ökologischer Übergänge zwischen terrestrischen und aquatischen Lebensweisen.
Ein Fossil, das nicht sauber einzuordnen ist
Wissenschaftler, die Paradoxophidion untersuchen, berichten von Merkmalen, die eine Verwandtschaft mit den Acrochordidae nahelegen könnten, einer Familie meist vollständig aquatisch lebender Schlangen, die heute in tropischen Fluss- und Küstengewässern vorkommt. "Wenn Paradoxophidion ein früher Acrochordide wäre, würde das eine aquatische Phase in der Evolution der Caenophidia andeuten", sagt Georgios, einer der Forscher, die die Sammlung bearbeiten. Gleichzeitig weist das Exemplar Merkmale auf, die auch in anderen Zweigen der Caenophidia vorkommen, weshalb das Team vorsichtig bleibt und keine voreiligen phylogenetischen Schlüsse zieht.

Der häufigste Befund bei fossilen Schlangen sind isolierte Wirbel, und genau das erschwert eine eindeutige Bestimmung. Wirbel können in Größe, Form und Oberflächenstruktur variieren — Merkmale, die oft zur Diagnose von Familien oder Gattungen genutzt werden — doch diese Zeichen sind nicht immer exklusiv. Konvergente Evolution kann dazu führen, dass sich ähnliche Wirbelstrukturen bei nicht näher verwandten Linien entwickeln, wenn ähnliche ökologische Voraussetzungen bestehen, etwa Anpassungen an das Leben im Wasser. Die fragmentarische Erhaltung zusammen mit diagenetischen Veränderungen während der Fossilisation macht die Interpretation zusätzlich kompliziert: Mineralische Umbildung kann Oberflächenstrukturen verfälschen, und fragmentarische Funde liefern selten das vollständige anatomische Bild.
Um die Stellung von Paradoxophidion hinreichend zu klären, sind detaillierte anatomische Vergleiche mit medizinisch und paläontologisch relevanten Merkmalen nötig. Dazu zählen die Form des Wirbelkörpers (Centrum), die Ausprägung von Zygosphen- und Zygantrum-Elementen, die Länge und Orientierung der Neuralfortsätze sowie subtile Details der Gelenkflächen. Diese morphologischen Charaktere werden in phylogenetischen Matrizen kodiert und in kladistischen Analysen abgefragt, um alternative Stammbaumhypothesen zu testen. Ergänzend liefern morphometrische Ansätze — etwa geometrische Morphometrie und 3D-Vergleiche — quantitative Daten, die subjektive Interpretationen reduzieren.

In Museumsschubladen nach Antworten graben
Um das Bild der frühen Schlangen-Evolution zu schärfen, plant Georgios, seine Untersuchungen in fossilen Reptiliensammlungen fortzusetzen. Er will Exemplare erneut begutachten, die bereits im 19. Jahrhundert von Richard Owen beschrieben wurden, darunter Wirbel von Palaeophis, einer riesigen aquatischen Schlange, die in England gefunden wurde. Der direkte Vergleich von Paradoxophidion mit besser dokumentierten aquatischen Formen wie Palaeophis sowie mit modernen Acrochordidae könnte gemeinsame Anpassungen an ein wassergebundenes Leben sichtbar machen — etwa charakteristische Wirbel- und Schädelmerkmale, die Hydrodynamik, Beutefang oder Atemmechanismen beeinflussen könnten.

Darüber hinaus beherbergen viele historische Sammlungen bislang unpublizierte oder schlecht dokumentierte Knochen mit ungewöhnlichen Morphologien. Diese Relikte können bislang unbekannte Taxa repräsentieren oder Übergangsformen zeigen, die wichtige Hinweise auf evolutionäre Pfade liefern. Durch eine systematische Sichtung der Museumsbestände, die kombinierte Anwendung von hochauflösender Bildgebung (wie Mikro-CT-Scans), klassische vergleichende Anatomie und eine breitere Probenahme könnten Forscher Paradoxophidion in den Schlangen-Stammbaum einordnen und die frühe Ökologie der Caenophidia besser verstehen. Insbesondere die Anwendung nicht-destruktiver Techniken erlaubt es, feinste innere Strukturen zu rekonstruieren, die an oberflächlich erhaltenen Exemp-laren nicht sichtbar wären.
Methodisch steht heute eine ganze Palette an Werkzeugen zur Verfügung, die vor Jahrzehnten noch nicht zugänglich waren: Mikro-Computertomographie (Micro-CT) erzeugt hochaufgelöste 3D-Modelle, mit denen innere Morphologie, Knochenstrukturen und eventuelle fossile Weichteilspuren analysiert werden können. Geometrische Morphometrie erlaubt es, Formunterschiede statistisch zu erfassen und in Bezug zu Ökologie oder Phylogenie zu setzen. Ergänzend helfen phylogenetische Analysen mit umfangreichen Datenmatrizen, alternative Hypothesen zur Verwandtschaft quantitativ zu vergleichen. Diese integrativen Ansätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine robuste Zuordnung vorzunehmen — sei es zu den Acrochordidae, zu einer anderen Caenophidia-Linie oder zu einer bislang unbekannten, ausgestorbenen Verwandtschaftsgruppe.
Die Frage, ob frühe Caenophidia eine aquatische Phase durchlaufen haben, hat weitreichende Implikationen für das Verständnis der Schlangen-Evolution. Aquatische Lebensweisen können spezifische Selektionsdrücke erzeugen, die Morphologie, Fortbewegung und Beutefangstrategien stark prägen. Würde sich zeigen, dass Paradoxophidion und andere frühe Formen aquatische Anpassungen aufweisen, ließe sich darüber nachdenken, ob die moderne Vielfalt der Echten Nattern (Caenophidia) aus einem aquatischen Vorfahren hervorging oder ob aquatische Formen mehrfach unabhängig entstanden sind. Solche Szenarien betreffen auch Fragen der biogeographischen Verbreitung, da aquatische Lebensräume andere Dispersionsmöglichkeiten bieten als terrestrische Biotope.
Die Taxonomie fossiler Schlangen verlangt zudem, geologische und stratigraphische Daten sorgfältig zu berücksichtigen. Das Alter der Fundschichten, die Sedimentologie und paläoökologische Indikatoren liefern Kontext: War die Fundschicht Teil eines Küsten-, Brackwasser- oder Binnengewässer-Systems? Solche Informationen können Hypothesen über die Lebensweise von Paradoxophidion stützen oder einschränken. Radiometrische Datierungen oder biostratigraphische Korrelationen helfen, zeitliche Sequenzen festzulegen, die für die Rekonstruktion von Evolutionsraten und -mustern essentiell sind.
Schließlich ist zu betonen, dass die wissenschaftliche Deutung nicht nur von neuen Daten, sondern auch von methodischem Austausch abhängt. Interdisziplinäre Kooperationen zwischen Paläontologen, Wirbeltiermorphologen, Geochemikern und Computervisualisierungsexperten können die Aussagekraft einzelner Befunde erhöhen. Die Neubeurteilung historischer Sammlungen ist ein low-cost, aber hochwirksamer Weg, alte Exemplare mit modernen Methoden neu zu beleuchten und so Erkenntnisse zur Evolution von Caenophidia und zur Entstehung aquatischer Anpassungen zu gewinnen.
Quelle: scitechdaily
Kommentar hinterlassen