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Neue groß angelegte Forschung zeigt, dass gängige Stimulanzien zur Behandlung von ADHS mehr bewirken als nur die Konzentration zu verbessern: Sie scheinen die Wahrscheinlichkeit von Substanzmissbrauch, suizidalem Verhalten, Kriminalität und Verkehrsunfällen in den Jahren nach der Diagnose zu verringern. Diese Ergebnisse liefern wichtige Hinweise für Patientinnen und Patienten, Angehörige und Behandler bei der Abwägung von Risiken und Nutzen einer frühen medikamentösen Behandlung.
Wie die Studie durchgeführt wurde und wen sie umfasste
Forscherinnen und Forscher des Karolinska-Instituts in Stockholm analysierten Gesundheits- und Verwaltungsdaten von 148.581 Personen im Alter von 6 bis 64 Jahren, bei denen zwischen 2007 und 2018 eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert wurde. Etwa 57 Prozent dieser Patientinnen und Patienten begannen innerhalb von drei Monaten nach der Diagnose eine medikamentöse Behandlung; in rund 88 Prozent der behandelten Fälle handelte es sich um Methylphenidat, das weithin unter dem Markennamen Ritalin bekannt ist.
Das Team verglich die Häufigkeit mehrerer schwerer Folgen, während die Betroffenen medikamentös behandelt wurden, mit Perioden ohne Medikation. Zu den Endpunkten gehörten erstmaliger und wiederholter Substanzmissbrauch, suizidales Verhalten und Suizidversuche, erstmalige und wiederholte strafrechtliche Verurteilungen sowie Verkehrsunfälle. Durch den Vergleich innerhalb derselben Person konnten Störeinflüsse durch dauerhafte individuelle Merkmale reduziert werden, was stärkere Hinweise auf die wahrscheinlichen Effekte der Medikamente liefert.

Klare Reduktionen bei mehreren ernsthaften Risiken
Die Ergebnisse waren über verschiedene Kategorien hinweg konsistent. Im Vergleich zu Perioden ohne Medikation war eine Behandlung mit Stimulanzien verbunden mit:
- 15 Prozent geringerem Risiko für erstmaligen Substanzmissbrauch und 25 Prozent geringerem Risiko für wiederholten Missbrauch
- 17 Prozent geringerem Risiko für erstmaliges suizidales Verhalten und 15 Prozent geringerem Risiko für nachfolgende Versuche
- 13 Prozent geringerem Risiko für erstmalige kriminelle Handlungen und 25 Prozent geringerem Risiko für Wiederholungstaten
- 12 Prozent geringerem Risiko für erstmalige Verkehrsunfälle und 16 Prozent geringerem Risiko für wiederholte Unfälle
Diese Prozentwerte mögen auf den ersten Blick moderat erscheinen, doch in Bevölkerungszahlen übersetzt bedeuten sie erhebliche Verringerungen vermeidbarer Schäden — von weniger Unfällen im Straßenverkehr bis zu niedrigeren Raten von Selbstschädigung und Substanzabhängigkeit. Solche Effekte können in Lebensjahren und Belastung für Angehörige, Gesundheitssysteme und Rechtspflege messbare Vorteile bringen.
Warum Stimulanzien vor diesen Schäden schützen könnten
Stimulanzien wie Methylphenidat erhöhen im Gehirn die Verfügbarkeit von Neurotransmittern wie Dopamin und Noradrenalin. Dieser biochemische Effekt verbessert typischerweise Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Entscheidungsfindung. Für viele Menschen mit ADHS führt eine bessere Regulation von Impulsen dazu, riskante Verhaltensweisen zu reduzieren, die zu Unfällen, rechtlichen Problemen oder Substanzmissbrauch führen können.
Der Studienautor und Psychiater Samuele Cortese betonte die klinische Bedeutung: Häufig fehlen Behandlern und Patientinnen klare Daten zu den Folgen eines unbehandelten ADHS. Wie er gegenüber der BBC erklärte, liefert die neue Forschung Evidenz dafür, dass ADHS-Medikamente diese Risiken vermindern können. Diese Erkenntnis ist relevant für die Abwägung von Nutzen gegenüber möglichen Nebenwirkungen und individuellen Krankengeschichten.
Was das für Patientinnen, Eltern und Behandler bedeutet
Die Studie untermauert das Argument, bei geeigneten Fällen eine frühzeitige, leitliniengerechte medikamentöse Behandlung in Erwägung zu ziehen – ergänzt durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Unterstützung in Schule, Beruf sowie zur Verkehrssicherheit. Sie ersetzt nicht die notwendige Abwägung von Nebenwirkungen, individuellen Vorerkrankungen und persönlichen Präferenzen. Für Patientinnen, Familien und Fachleute, die besorgt über die langfristigen Folgen von ADHS sind, bieten die Ergebnisse jedoch konkrete Hinweise darauf, dass medikamentöse Therapie mehrere schwerwiegende Risiken reduzieren kann.
Zukünftige Untersuchungen sollten Unterschiede zwischen Altersgruppen genauer beleuchten, Langzeitergebnisse über den Beobachtungszeitraum hinaus erfassen und klären, wie Medikamente am besten mit psychosozialen Unterstützungsangeboten kombiniert werden. Bis dahin lautet die Kernaussage klar: Die Behandlung von ADHS mit Stimulanzien wie Methylphenidat scheint reale Risiken im Alltag zu verringern, jenseits der alleinigen Verbesserung von Aufmerksamkeit und schulischer oder beruflicher Leistungsfähigkeit.
Quelle: sciencealert
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