Bewegung ab dem mittleren Alter reduziert Demenzrisiko

Bewegung ab dem mittleren Alter reduziert Demenzrisiko

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Neue Analysen der jahrelang laufenden Framingham Heart Study untermauern eine wachsende Erkenntnis: körperliche Aktivität ab dem mittleren Alter deutlich verringert das Risiko, an Demenz zu erkranken. Die Studie untersuchte Tausende Teilnehmende über mehrere Generationen hinweg und analysierte, wie Aktivität in verschiedenen Lebensphasen — sowie ein verbreiteter genetischer Risikofaktor — das Demenzrisiko beeinflussen.

Was die Studie untersuchte und warum das wichtig ist

Forscher:innen werteten Daten von 4.290 Erwachsenen aus der Framingham Offspring-Kohorte aus, einer Nachfolgegeneration, die nach der ursprünglichen Studie von 1948 rekrutiert wurde. Die Teilnehmenden gaben ihre körperliche Aktivität an — von Alltagsbewegungen wie Treppensteigen bis zu gezieltem, intensiverem Training — in mehreren Untersuchungswellen, die sich über Jahrzehnte erstreckten. Die Forschenden gruppierten die Personen nach dem Alter, in dem sie erstmals Aktivität berichteten: junges Erwachsenenalter (26–44 Jahre), mittleres Lebensalter (45–64 Jahre) und älteres Erwachsenenalter (65+).

Im Anschluss verfolgte das Team, wer im weiteren Verlauf an Demenz erkrankte und in welchem Alter dies geschah. Es erfolgte ein Vergleich zwischen Gruppen mit niedriger, moderater und hoher körperlicher Aktivität. Zusätzlich prüften die Forschenden, ob das Vorhandensein des APOE ε4-Allels — ein bekannter genetischer Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit — den Nutzen von Bewegung veränderte.

Eindeutige Muster: wann Bewegung den größten Unterschied macht

Während des Nachbeobachtungszeitraums erhielten 567 Teilnehmende (13,2 % der Stichprobe) die Diagnose Demenz. Das auffälligste Ergebnis: Personen mit den höchsten Aktivitätswerten im mittleren und späteren Lebensalter wiesen ein um 41–45 % geringeres Demenzrisiko auf als Personen mit den niedrigsten Aktivitätswerten. Diese Zusammenhänge blieben bestehen, nachdem Alter, Bildungsniveau, Blutdruck, Diabetes und weitere bekannte Risikofaktoren statistisch berücksichtigt wurden.

Im Gegensatz dazu sagte die in jungen Erwachsenenjahren berichtete Aktivität das Demenzrisiko nicht in gleicher Weise voraus. Das bedeutet nicht, dass körperliche Aktivität in der Jugend für die allgemeine Gesundheit unwichtig wäre; vielmehr deutet es darauf hin, dass der schützende Effekt gegen kognitiven Abbau am stärksten ist, wenn Aktivität ins mittlere Lebensalter und darüber hinaus aufrechterhalten wird. Diese Beobachtung hat Relevanz für Prävention und öffentliche Gesundheitsstrategien zur Demenzprävention.

Genetik und Zeitpunkt: wer profitiert am meisten?

Die Einbeziehung genetischer Daten erlaubte eine differenziertere Betrachtung. Bei Personen ohne das APOE ε4-Allel war höhere körperliche Aktivität im mittleren Lebensalter mit einem reduzierten Demenzrisiko assoziiert. Unter APOE ε4-Trägern war dieser mittelfristige Schutz im mittleren Lebensalter schwächer ausgeprägt oder nicht eindeutig erkennbar. Wichtig ist jedoch: Im späteren Lebensalter (65+) war höhere Aktivität sowohl bei Trägern als auch bei Nicht-Trägern mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden.

Vereinfacht gesagt: Aktiv bleiben im höheren Lebensalter scheint auch Menschen mit genetischer Veranlagung für Alzheimer einen spürbaren Schutz zu bieten, während Aktivität im mittleren Lebensalter besonders vorteilhaft für jene ohne dieses spezifische genetische Risiko zu sein scheint. Diese differenzierte Wirkung nach Alter und Genotyp liefert wertvolle Hinweise für individualisierte Präventionsstrategien und public-health-Maßnahmen.

Wissenschaftlicher Kontext: wie Bewegung das Gehirn schützt

Körperliche Aktivität beeinflusst mehrere biologische Systeme, die die kognitive Gesundheit unterstützen. Bewegung erhöht die Durchblutung des Gehirns, was die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen verbessert. Sie fördert die Neuroplastizität — also die Fähigkeit des Gehirns, neue Verknüpfungen zu bilden — und stimuliert die Freisetzung von Wachstumsfaktoren, die das Überleben und die Funktion von Neuronen fördern. Regelmäßige körperliche Aktivität reduziert außerdem chronische Entzündungsprozesse und verbessert die vaskuläre Gesundheit; beides steht in Verbindung mit einem geringeren Demenzrisiko.

Diese Mechanismen stimmen mit früheren Untersuchungen überein, die aerobe Ausdaueraktivität, Krafttraining und auch alltägliche Bewegungsformen mit besserer Gedächtnisleistung, stärkerer exekutiver Funktion und langsamerem kognitiven Abbau verknüpfen. Biologisch plausibel sind Effekte über vaskuläre Gesundheit, metabolische Regulation (etwa Insulinsensitivität), Reduktion von oxidativem Stress und Modulation neurotropher Signalwege (z. B. BDNF).

Einschränkungen, die zu beachten sind

Keine einzelne Studie ist endgültig. Diese Analyse beruhte auf selbstberichteter Aktivität, was Erinnerungsfehler und Ungenauigkeiten (Recall-Bias) einführen kann. Objektive Messungen wie Aktivitätstracker hätten hier ergänzende, oft robustere Daten geliefert. Zudem besteht die Framingham-Kohorte überwiegend aus Personen europäischer Abstammung aus einer einzigen Kleinstadtregion; das schränkt die Übertragbarkeit (External Validity) der Ergebnisse auf global vielfältige Populationen ein. Bei der jüngsten Altersgruppe traten relativ wenige Demenzfälle auf, weshalb Schlussfolgerungen über frühe Erwachsene weniger sicher sind.

Des Weiteren spezifiziert die Studie nicht präzise, welche Aktivitätsarten, -dauern oder -intensitäten optimal sind. Diese Details sind entscheidend für konkrete Empfehlungen im Bereich der Demenzprävention und für Leitlinien in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Zukünftige Forschung sollte randomisierte Interventionsstudien, objektive Aktivitätsmessung und diverse Populationen einbeziehen, um Dosis-Wirkungs-Beziehungen und Wirkmechanismen klarer zu definieren.

Was das für Einzelpersonen und die öffentliche Gesundheit bedeutet

Die praktische Schlussfolgerung ist einfach und handlungsorientiert: regelmäßige körperliche Aktivität erhöhen, insbesondere ab dem mittleren Lebensalter. Öffentliche Gesundheitsbotschaften können hervorheben, dass der Nutzen bis ins höhere Alter reicht und offenbar Menschen unabhängig von genetischem Risiko zugutekommt. Für Kliniker:innen und Entscheidungsträger:innen stützt die Studie die Priorisierung von kommunalen Programmen, sicheren Fußwegen, barrierefreien Bewegungsangeboten und der Zugänglichkeit zu Sport- und Bewegungsangeboten für Menschen mittleren und höheren Alters.

Auf individueller Ebene sind leicht umsetzbare Maßnahmen sinnvoll: mehr Alltagsbewegung, regelmäßige Spaziergänge, Fahrradfahren, gezielte Kraft- und Balanceübungen sowie soziale Angebote, die Bewegung attraktiv und nachhaltig machen. Solche Interventionen sind kosteneffizient, risikoarm und können zusätzlich positive Effekte auf Herz-Kreislauf-Gesundheit, Mobilität und Lebensqualität haben.

Expertinneneinschätzung

„Diese Befunde fügen eine wichtige zeitliche Dimension hinzu“, sagt Dr. Emily Carter, Altersneurologin und Forscherin im Bereich kognitives Altern. „Wir wussten bereits, dass Bewegung die Gehirngesundheit unterstützt; diese Studie hilft dabei, die richtige Botschaft im Hinblick auf das Timing zu formulieren. Ermutigend ist, dass gesteigerte Aktivität auch im späteren Leben noch Schutz bietet, selbst bei Menschen mit APOE ε4. Das bedeutet: Es ist nie zu spät, aktiv zu werden.“

Dr. Carter empfiehlt eine Kombination aus Ausdauertraining, Kraft- und Gleichgewichtstraining. „Zielen Sie auf regelmäßige, anhaltende Bewegung — Gehen, Radfahren, Widerstandstraining — und gestalten Sie sie sozial sowie nachhaltig, sodass sie Teil des Alltags wird“, ergänzt sie. Aus ärztlicher Sicht sollten individuelle Voraussetzungen, Vorerkrankungen und Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden, idealerweise in Absprache mit behandelnden Gesundheitsfachpersonen.

Wissenschaft in den Alltag übersetzen

  • Setzen Sie erreichbare Ziele: Beginnen Sie mit zügigem Gehen von 20–30 Minuten an den meisten Tagen der Woche und steigern Sie schrittweise.
  • Variieren Sie die Bewegung: Kombinieren Sie Ausdauertraining mit Krafttraining und Mobilitätsübungen, um Herz-Kreislauf-Gesundheit, Muskelkraft und Balance zu fördern.
  • Integrieren Sie Bewegung regelmäßig: Nutzen Sie Treppen, kurze Spaziergänge in Pausen oder Vereins- und Kursangebote, um die Motivation hochzuhalten.
  • Holen Sie professionelle Beratung ein: Menschen mit chronischen Krankheiten oder eingeschränkter Mobilität sollten individuelle Empfehlungen von Ärzt:innen oder Physiotherapeut:innen einholen.

Insgesamt stärkt die Framingham-Analyse die Evidenz, dass körperliche Aktivität im mittleren und späteren Lebensalter ein wirkungsvolles, kostengünstiges Instrument gegen kognitiven Abbau und Demenz darstellt. Zwar bleiben Fragen zu genauen Dosierungen, idealen Trainingsformen und den zugrunde liegenden Mechanismen offen, doch die öffentliche Gesundheitsbotschaft ist klar: mehr Bewegung — in jedem Alter — kann das Gehirn schützen und sollte Teil umfassender Demenzprävention sein.

Quelle: sciencealert

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