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Neue multidisziplinäre Forschung legt nahe, dass ein mächtiger Vulkanausbruch am anderen Ende der Welt die Klima- und Handelsstörungen ausgelöst haben könnte, die es der Schwarzen Pest ermöglichten, sich in den 1340er-Jahren über Europa zu verbreiten. Durch die Kombination von Eiskern-Chemie, dendrochronologischen Klimadaten und zeitgenössischen Berichten rekonstruierten Wissenschaftler eine Ereigniskette, die einen nicht identifizierten tropischen Ausbruch um 1345 mit Hungersnot, verlagerten Getreidelieferungen und der maritimen Verbreitung von Yersinia pestis in Verbindung bringt. Die Studie verknüpft dabei Paläoklimatologie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Krankheitsökologie und liefert neue Einsichten zur Entstehung und Ausbreitung historischer Pandemien.
Rekonstruktion einer Katastrophe: wie Forscher den Hinweisen folgten
Stellen Sie sich vor, Sie könnten das Tagebuch des Planeten lesen: dünne Eislagen und Jahrringe in Bäumen zeichnen still Wetterextreme, atmosphärische Veränderungen und Ernterisiken auf. Die Forscher Martin Bauch und Ulf Büntgen nahmen dieses «Tagebuch» ernst. Sie werteten Sulfatprofile aus polaren Eiskernen, das jährliche Baumringwachstum aus acht europäischen Regionen sowie Dutzende zeitgenössischer Berichte aus dem 14. Jahrhundert aus, um eine provokante Hypothese zu prüfen – dass ein großer vulkanischer Ausbruch einen kurzzeitigen Klima-Schock erzeugte, der Handelsrouten veränderte und unbeabsichtigt die Pest nach Europa einschleppte. Dabei kombinierten sie physikalische Klimaindikatoren mit wirtschaftlichen Reaktionen und schriftlichen Quellen, um eine kohärente, mehrschichtige Erklärung zu entwickeln.
Ein frühes Puzzleteil ist der Erreger selbst. Yersinia pestis, der Erreger der Pest, verbreitet sich vornehmlich über Flöhe und kann bubonische Infektionen verursachen, die sich in anfälligen Bevölkerungsgruppen rasch ausbreiten. Anschauliche Bilder, etwa aus der Rasterelektronenmikroskopie, zeigen den Erreger auf sehr hoher Vergrößerung und verdeutlichen seine Morphologie. Solche mikrobiologischen Darstellungen unterstützen das Verständnis, wie sich der Erreger in Wirts- und Vektorpopulationen verhält. Doch Mikroorganismen bewegen sich nicht unabhängig – Menschen, Warenströme und ökologische Bedingungen legen ihre Wege fest. Genau diese Erkenntnis veranlasste das Team, sich stärker auf physikalische Klimamarker und wirtschaftliche Reaktionen zu stützen als ausschließlich auf epidemiologische Modelle.
Eiskern-Schwefelspitzen und das Abkühlungssignal
Polare Eiskerne fungieren als gefrorene Archive der atmosphärischen Zusammensetzung. Die Forscher identifizierten eine besonders große Sulfatspitze in Schichten, die Schneeablagerungen um das Jahr 1345 n. Chr. zugeordnet werden – ein typischer Fingerabdruck für einen größeren vulkanischen Ausbruch. Die Spitze von 1345 ragt hervor: Sie zählt zu den größeren Schwefelanreicherungen der letzten zwei Jahrtausende, während kleinere Maxima in den Jahren 1329, 1336 und 1341 auftreten. Solche Sulfatspitzen lassen sich mit Messungen an mehreren Bohrkernen und durch Kreuzabgleich verschiedener Sammlungen bestätigen, was die Zuverlässigkeit der Chronologie erhöht.
Wenn Vulkane schwefelhaltige Gase in die Stratosphäre ausstoßen, bilden diese Gase Sulfataerosole, die eingehende Sonnenstrahlung reflektieren. Das Ergebnis ist ein messbarer Rückgang der Oberflächentemperaturen über mehrere Jahre hinweg. Baumring-Rekonstruktionen der Temperatur, die Dichte und Breite des Spätholz-Anteils verwenden, um die Wachstumsbedingungen der Vegetationsperiode zu schätzen, zeigen ungewöhnlich kühle Sommer in großen Teilen Südeuropas von 1345 bis 1347 – ein klassisches vulkanisches Abkühlungssignal, das zeitlich eng mit den Eiskernbefunden übereinstimmt. Solche dendrochronologischen Signale bieten jahresauflösende Hinweise auf Temperaturanomalien und erlauben zusammen mit Eiskerndaten eine präzise Einordnung klimatischer Störungen.
Die Klimaanomalie hatte unmittelbare Folgen für die Landwirtschaft: in Chroniken von Spanien bis in den Levanten finden sich Berichte über Ernteausfälle, nasse Erntezeiten und steigende Getreidepreise. Diese Bedingungen zwangen Handelspartner und Seehäfen dazu, alternative Getreidequellen anzuzapfen, um Hungersnöte zu verhindern. Solche Handelsreaktionen sind typische kurzfristige Anpassungsstrategien: die Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln bleibt hoch, während lokale Produktion ausfällt, sodass Importabhängigkeit und veränderte Schiffsrouten wahrscheinlicher werden. Diese Mechanismen verbinden Klimaschock mit wirtschaftlichen Entscheidungen, die ihrerseits epidemiologische Folgen haben können.

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Yersinia pestis, dem für die Pest verantwortlichen Bakterium.
Wie Handelsumwege die Pest begünstigten
Hier tritt die menschliche Komponente deutlicher hervor: Das mittelalterliche Italien war in vielen Regionen auf Getreideimporte angewiesen, um Hungersnöte zu vermeiden. Die ungewöhnlich kalten und feuchten Sommer sowie mangelhafte Ernten trieben maritime Republiken – insbesondere Venedig, Genua und Pisa – dazu, den Handel mit dem Schwarzen Meer wiederaufzunehmen und Getreide aus den mongolisch kontrollierten Gebieten um das Asowsche Meer zu beziehen. Im Jahr 1347 hob Venedig ein langjähriges Embargo gegenüber der Goldenen Horde auf, und große Getreidelieferungen aus Häfen nördlich des Schwarzen Meeres begannen einzutreffen. Solche politischen Entscheidungen und Handelsvereinbarungen sind in zeitgenössischen Akten und Handelsbüchern dokumentiert und erklären die Richtung und Intensität des Warentransports.
Diese Seereisen stellten einen plausiblen Vektor für Y. pestis dar. Frühere Studien zeigen, dass mit Pest infizierte Flöhe auf Schiffen, die Getreide oder andere trockene Fracht transportierten, lange genug überleben können, um Mittelmeerhäfen zu erreichen. Lagerung in Kornbunkern, begünstigt durch Wärme und Nähe zu Nagerpopulationen an Bord, erhöht die Überlebenschancen von Flöhen und potentiellen Wirten. Die ersten dokumentierten Ausbrüche auf europäischem Boden fielen zeitlich mit Anlandungen in Küstenhäfen zusammen: Messina, Genua, Venedig, Pisa und Palma. Von diesen Häfen aus boten infiziertes Getreide und menschlicher Kontakt Korridore, über die sich der Erreger ins Landesinnere und entlang bestehender Handelsnetzwerke ausbreiten konnte, bis hin nach Alexandria und weiter nördlich in den Ärmelkanal und die Nordsee. Solche Ausbreitungsmuster lassen sich mit historischen Reisezeiten, Hafenregisterdaten und frühen Pestchroniken abgleichen.

Eine Karte der Getreidetransport-Wege als Pestvektoren in den späten 1340er-Jahren. (Bauch & Büntgen, Commun. Earth Environ., 2025)
Warum diese Interpretation für das Verständnis von Pandemien wichtig ist
War die Schwarze Pest ein lokal wieder aufflammendes Phänomen in Europa, oder kam sie neu aus Zentralasien an? Die neue Studie stützt die Reintroduktions-Hypothese: jüngere genetische und archäologische Befunde verorten den Beginn der zweiten Pestpandemie in Kirgisistan und den angrenzenden Hochländern. Das vulkanisch induzierte Abkühlungsmodell liefert einen plausiblen Mechanismus, um Geographie und Chronologie zu überbrücken – ein klimatischer Schock erzwingt dramatische Änderungen in Handel und Lebensmittelversorgung, die dann die Bewegung des Erregers entlang existierender menschlicher Netzwerke erleichtern. Diese Erklärung verbindet demnach Umweltstörung, wirtschaftliche Anpassung und biologische Ausbreitung in einer schlüssigen Kausalkette.
Diese Kausalkette verdeutlicht einen oft unterschätzten Punkt in Pandemiestudien: Umweltereignisse und wirtschaftliche Entscheidungen interagieren, um das Krankheitsrisiko zu verändern. Eine kurzzeitige Klimaabweichung kann eine Kaskade auslösen – von landwirtschaftlichem Ernteausfall über Umverteilung von Waren bis zu veränderten Migrations- und Handelsbewegungen – die zusammen die Chancen erhöhen, dass Krankheitserreger in neue Populationen überspringen. In modernen Begriffen zeigt dies, wie klimatische Variabilität, Lebensmittelunsicherheit und globale Mobilität verknüpft sind und warum integrierte Analysen aus Klimawissenschaft, Ökonomie und Epidemiologie notwendig sind, um Ausbreitungsrisiken zu bewerten.
Wissenschaftlicher Kontext und Publikation
Die Forschung stützt sich auf etablierte Klimaproxys: Eiskerne für atmosphärische Chemie und Baumringe für Temperaturrekonstruktionen. Indem die Autoren diese physikalischen Proxys mit dokumentarischen Belegen zu Wetterverhältnissen, Ernteausfällen und Handelsbewegungen in Einklang brachten, entstand eine zeitlich konsistente Erzählung. Die Ergebnisse wurden 2025 in Communications Earth & Environment veröffentlicht und tragen zur wachsenden Literatur bei, die Vulkanismus, kurzzeitige Klimaanomalien und sozioökonomischen Stress im Mittelalter verknüpft. Solche Publikationen durchlaufen Peer-Review und stützen sich oft auf mehrere, unabhängige Datensätze, was die Robustheit der Schlussfolgerungen erhöht.
Über die mittelalterliche Geschichte hinaus illustriert die Studie methodische Stärken interdisziplinärer Forschung. Die Kombination von Paläoklimatologie, Geschichte, Archäologie und Epidemiologie stärkt das Vertrauen in kausale Aussagen, insbesondere wenn mehrere unabhängige Evidenzlinien auf dieselben Jahre und Regionen hinweisen. Technische Details wie die Kalibrierung von Eiskernchronologien, die Isotopenanalyse von Sulfaten oder die Verwendung von Dendrochronologie zur saisonalen Auflösung sind Beispiele für die notwendigen Fachmethoden, die hier zusammengeführt wurden. Solche methodischen Verknüpfungen sind für die Rekonstruktion komplexer historischer Ereignisse unabdingbar.
Expertinnen-Einschätzung
„Dieses Paper ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Umweltschocks menschliche Netzwerke so umgestalten können, dass sie die Ausbreitung von Krankheiten erleichtern“, sagt Dr. Elena Marinos, eine fiktive Paläoklimatologin und Wissenschaftskommunikatorin. „Als Getreidehändler ihre Routen änderten, um Hungersnöte abzuwehren, schufen sie unbeabsichtigt einen Korridor für Yersinia pestis. Das erinnert daran, dass Pandemien oft an der Schnittstelle von Naturereignissen und menschlichen Entscheidungen entstehen.“
Ihr Kommentar unterstreicht die praktische Lehre: Das Verständnis vergangener Pandemien erfordert mehr als Genomik des Erregers. Es braucht auch Aufmerksamkeit für soziale und ökologische Auslöser, die das Umfeld bereiten – eine Einsicht, die heute relevant bleibt, da Klimavariabilität weiterhin die Ernährungssicherheit, Handelsnetzwerke und Mobilität beeinflusst. Die Erkenntnisse sind somit nicht nur historisch bedeutsam, sondern liefern Perspektiven für heutige Risikoanalysen in einem sich erwärmenden und zunehmend vernetzten System.
Implikationen und künftige Forschung
Die Studie erhebt nicht den Anspruch, den genauen Ursprung des Vulkans identifiziert zu haben; die wahrscheinliche Quelle bleibt unbekannt, möglicherweise im tropischen Gürtel, und könnte einen großen Ausbruch oder eine Serie kleinerer Eruptionen umfassen. Zukünftige Arbeiten könnten die geografische Quelle durch den Vergleich von Sulfat-Isotopensignaturen in verschiedenen Eiskernen präzisieren, Vulkan-Sulfat-Depositionen räumlich auswerten und nach Tephra-Lagen (vulkanischer Asche) suchen, die das Ereignis mit einer bestimmten Eruption verknüpfen könnten. Solche tephrostratigraphischen Nachweise sind oft der Schlüssel, um einen Eruptionsort zu verifizieren.
Auf epidemiologischer Seite könnten weitere Analysen alter DNA aus archäologischen menschlichen Resten entlang der Schwarzmeer-Handelsrouten und in Hafenstädten die Reintroduktionsszenarien weiter testen und die Chronologie verfeinern. Darüber hinaus würde die Modellierung des Überlebens von Flöhen und Nagetieren an Bord verschiedener Frachttypen helfen, das Übertragungsrisiko während maritimer Reisen quantitativ zu erfassen. Laborstudien zur Flohbiologie, kombiniert mit historischen Analysen zu Lagerungsbedingungen von Getreide, könnten die plausiblen Zeiträume für pathogenes Überleben an Bord eingrenzen.
Kurz gesagt, die neue Hypothese verknüpft Klimawissenschaft, historische Quellenlage und Krankheitsökologie, um zu erklären, wie ein entfernter Vulkanausbruch indirekt eine der verheerendsten Pandemien der Geschichte ausgelöst haben könnte. Es ist die Geschichte vernetzter Systeme – Atmosphäre, Ernterealisierung, Handel und Mikroben – in der ein einziger umweltbedingter Impuls Wellen durch mittelalterliche Gesellschaften sandte. Für Forschende liefert die Arbeit sowohl methodische Ansätze als auch thematische Hinweise, wie Umweltveränderungen heutige und zukünftige Infektionsrisiken modulieren können. Für die Risikokommunikation bedeutet sie, dass Vorhersagen zur öffentlichen Gesundheit zunehmend interdisziplinäre Daten und Modelle erfordern.
Quelle: sciencealert
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