8 Minuten
Eine norwegische Studie, veröffentlicht in BMJ Mental Health, legt nahe, dass das Trinken von drei bis vier Tassen Kaffee täglich mit einem langsameren zellulären Altern bei Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen verbunden sein könnte. Die Forschenden bestimmten die Telomerlänge — einen etablierten Marker biologischen Alters — und berichteten über ein J-förmiges Muster zwischen Kaffeekonsum und zellulären Messwerten.
Was die Studie fand und wer daran beteiligt war
Die Analyse basierte auf Daten von 436 Erwachsenen, die zwischen 2007 und 2018 in die norwegische Thematically Organised Psychosis (TOP) Studie eingeschlossen wurden. Zu den Teilnehmenden zählten 259 Personen mit der Diagnose Schizophrenie sowie 177 Menschen mit affektiven Störungen, etwa bipolarer Störung oder schwerer depressiver Episode mit psychotischen Symptomen. Die Forschenden unterteilten die Probandinnen und Probanden nach selbstangaben zum täglichen Kaffeekonsum in die Kategorien: keine, 1–2 Tassen, 3–4 Tassen und 5 oder mehr Tassen pro Tag.
Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Tabakkonsum, Diagnosekategorie und Behandlung stellten die Forschenden fest, dass Personen, die bis zu 3–4 Tassen pro Tag tranken, längere Leukozyten-Telomere aufwiesen als Nicht-Kaffeetrinker. Im Mittel entsprach die Telomerlänge in der Gruppe mit 3–4 Tassen ungefähr fünf biologischen Zusatzjahren im Vergleich zu Nichttrinkern. Dieser positive Zusammenhang verschwand jedoch für Personen mit einem Konsum von fünf oder mehr Tassen täglich, wodurch sich das beschriebene J-förmige Muster ergab. Diese Beobachtungen sind relevant für Forschung zu Lebensstilfaktoren, Koffeinwirkung und Biomarkern des Alterns, besonders in vulnerablen Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem somatischem Risiko.
Warum Telomere für Altern und psychische Gesundheit wichtig sind
Telomere sind wiederholte DNA-Sequenzen, die die Enden von Chromosomen abschließen und das genetische Material vor Schäden schützen — vergleichbar mit den Plastikkappen an Schnürsen. Bei jeder Zellteilung verkürzen sich Telomere natürlich, und sie reagieren empfindlich auf oxidativen Stress und systemische Entzündungsprozesse. In mehreren Studien wurde eine beschleunigte Telomerverkürzung bei Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen beschrieben, was möglicherweise zu höheren Raten altersbedingter Komorbiditäten in diesen Gruppen beiträgt. Die Messung der Telomerlänge ist daher ein wichtiges Instrument in der Altersforschung und in Studien zur biologischen Vulnerabilität bei psychischen Erkrankungen.

Da Telomere auf Umwelt- und Lebensstilfaktoren ansprechen, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob Ernährung, Bewegung, Rauchstopp und eben auch der Kaffeekonsum biologische Alterspfade modulieren können. Solche Zusammenhänge sind relevant für präventive Maßnahmen und für die Entwicklung von gesundheitsfördernden Interventionen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, bei denen die somatische Gesundheit oft vernachlässigt wird.
Biologische Mechanismen: Antioxidantien, Entzündung und Grenzen
Kaffee ist ein komplexes Getränk, das Polyphenole, chlorogensäurehaltige Verbindungen und eine Vielzahl weiterer Moleküle enthält, die antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften haben können. Die Autorinnen und Autoren der Studie schlagen vor, dass diese Substanzen Zellen vor oxidativen Schäden und chronischer Entzündung schützen könnten — beides Prozesse, die eine beschleunigte Telomerverkürzung begünstigen. Besonders Polyphenole und chlorogensäureähnliche Stoffe werden in der Literatur mit zellschützenden Effekten in Verbindung gebracht und stehen im Fokus der Forschung zu Ernährungsinterventionen und Altersbiologie.
Gleichzeitig warnen die Studienautorinnen und -autoren vor möglichen Risiken bei übermäßigem Konsum. Hohe Dosen von Koffein oder bestimmte bei intensiver Röstung entstehende Verbindungen können die Bildung reaktiver Sauerstoffspecies (ROS) begünstigen und dadurch potenziell etwaige schützende Effekte zunichte machen. Wichtige Gesundheitsbehörden wie der NHS (Großbritannien) und die FDA (USA) raten, die tägliche Koffeinaufnahme auf etwa 400 mg zu begrenzen — das entspricht für die meisten Erwachsenen ungefähr vier Standardtassen Filterkaffee. Individuelle Empfindlichkeiten, Medikamenteninteraktionen (insbesondere bei Psychopharmaka) sowie Herz-Kreislauf- und Schlafaspekte sollten bei jeder Empfehlung berücksichtigt werden.
Studiendesign, Confounder und wichtige Einschränkungen
Entscheidend ist, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, die keine ursächlichen Schlüsse zulässt. Viele potenziell relevante Details wurden nicht erfasst: Bohnenart (Arabica vs. Robusta), Röstgrad, Brühmethode (Filter, Espresso, French Press), Tassenvolumen, exakter Koffeingehalt, Tageszeit der Einnahme und Konsum anderer koffeinhaltiger Getränke. Solche Unterschiede können den biologischen Effekt maßgeblich beeinflussen, da etwa Espresso und Filterkaffee bzw. entkoffeinierter Kaffee unterschiedlich viele bioaktive Verbindungen enthalten.
Rauchen, das in der Stichprobe weit verbreitet war (77 % der Teilnehmenden), verändert die Koffeinstoffwechselrate und war zudem bei starken Kaffeetrinkerinnen und -trinkern häufiger und längerli-fig vorhanden. Das erschwert die Interpretation, weil Rauchen selbst mit Telomerverkürzung und erhöhtem oxidativem Stress assoziiert ist. Obwohl die Forscherinnen und Forscher statistisch für Tabakkonsum adjustierten, können Residualeffekte, Messfehler und Wechselwirkungen verbleiben und das Ergebnis beeinflussen.
Weiterhin wurde die Telomerlänge in zirkulierenden weißen Blutkörperchen (Leukozyten) gemessen — ein standardisierter, aber indirekter Marker zellulären Alterns. Leukozyten-Telomere geben Hinweise auf systemische Prozesse, liefern jedoch kein vollständiges Bild für andere Gewebe wie Gehirn, Herz oder Muskel. Unterschiede in der Telomerlänge zwischen Geweben und die Dynamik von Telomerreaktionen auf Lebensstilinterventionen bleiben zentral für die Interpretation solcher Befunde.
Gesundheitspolitische Perspektive und praktische Empfehlungen
Die Studie bietet einen möglichen, kostengünstigen Verhaltensansatz, der mit einem verlangsamten zellulären Altern in einer Bevölkerungsgruppe in Verbindung stehen könnte, die oft ein erhöhtes biologisches Risiko aufweist. Gleichwohl sollten Klinikerinnen, Gesundheitsberaterinnen und öffentliche Gesundheitsbehörden vorsichtig bleiben: Der positive Zusammenhang zeigte sich nur bei moderatem Konsum (3–4 Tassen) und war bei höherem Konsum nicht vorhanden. Vor einer allgemeinen Empfehlung für erhöhten Kaffeekonsum sind daher weitere Studien notwendig.
Bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sollten breitere Lebensstilinterventionen im Vordergrund stehen: Therapietreue und medikamentöse Versorgung, Raucherentwöhnung, eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität und psychosoziale Unterstützung sind nach wie vor zentrale Maßnahmen, um langfristige gesundheitliche Risiken zu reduzieren. Individuelle Aspekte wie Schlafqualität, Angstsymptomatik, Blutdruck und kardiovaskuläre Vorerkrankungen sollten bei der Abwägung von Kaffeekonsum stets beachtet werden.
Der weltweite Kaffeekonsum ist sehr hoch (geschätzt bei etwa 10,56 Milliarden Kilogramm in 2021–2022), sodass selbst moderate Effekte auf Gesundheitsmarker erhebliche bevölkerungsweite Auswirkungen haben könnten. Dennoch bleibt wichtig: Persönliche Verträglichkeit, Wechselwirkungen mit Medikamenten (etwa bestimmten Antidepressiva oder Psychopharmaka) und Nebenwirkungen wie Schlafstörungen oder erhöhte Herzfrequenz müssen individuell abgewogen werden.
Weitere Forschungsrichtungen
Die Forschenden empfehlen Längsschnitt- und Interventionsstudien, um zu prüfen, ob eine gezielte Veränderung des Kaffeekonsums Telomerdynamik und klinische Endpunkte verändert. Interventionsstudien sollten detailliert Kaffeeart, Brühmethode, Koffeindosis und Zeitpunkt der Einnahme dokumentieren und idealerweise Telomerlängen in mehreren Geweben messen, um Gewebe-spezifische Effekte zu erfassen. Randomisierte kontrollierte Studien, die Rauchstopp, Ernährung und Medikamenteneinnahme kontrollieren, wären besonders wertvoll, um Kausalzusammenhänge zu klären.
Darüber hinaus ist die Erforschung biochemischer Signalwege essenziell: Wie wirken Polyphenole, welche Rolle spielt die Reduktion systemischer Inflammation, und wie beeinflussen Koffein und andere Kaffee-Komponenten Telomerase-Aktivität oder Reparaturmechanismen? Solche mechanistischen Einsichten würden helfen, den Weg von reiner Korrelation zu plausiblen Wirkungsmodellen zu überbrücken und gezielte Empfehlungen zu entwickeln, die ältere und vulnerable Populationen adressieren.
Expertinnen- und Experteneinschätzung
"Diese Ergebnisse sind spannend, weil sie auf einen veränderbaren Lebensstilfaktor hinweisen, der das zelluläre Altern in einer vulnerablen Population beeinflussen könnte," sagt Dr. Emma Lawson, Molekularpsychiaterin an der Universität Oslo. "Beobachtungsdaten stoßen jedoch an Grenzen — wir brauchen randomisierte Studien, die Rauchen, Medikation und Ernährung kontrollieren, bevor wir klinische Empfehlungen aussprechen können."
"Bis dahin," ergänzt Dr. Lawson, "ist Mäßigkeit vernünftig: Für die meisten Erwachsenen scheinen drei bis vier Tassen Kaffee pro Tag unbedenklich und potenziell vorteilhaft zu sein. Individuelle Faktoren wie Schlafstörungen, Angstzustände und Herzkrankheiten sollten jedoch die persönliche Entscheidung bestimmen."
Insgesamt trägt die Studie zur wachsenden Literatur bei, wie Alltagsgewohnheiten das biologische Altern beeinflussen können. Viele Fragen zu Kausalität, optimaler Dosierung und zugrunde liegenden Mechanismen bleiben offen. Im Moment bleibt moderater Kaffeekonsum eine plausibel risikoarme Komponente innerhalb einer umfassenden Strategie zur Längerung der Gesundheitsspanne ("healthspan") für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, wobei individuelle Abwägungen und begleitende Lebensstiländerungen zentral sind.
Quelle: scitechdaily
Kommentar hinterlassen