Incendiamoeba cascadensis: Neue Grenzen eukaryotischer Wärme

Incendiamoeba cascadensis: Neue Grenzen eukaryotischer Wärme

Kommentare

8 Minuten

Ein einzelliges Lebewesen, das in den dampfenden Pools des Lassen Volcanic National Park entdeckt wurde, hat die Vorstellungen von dem, was für komplexes Leben möglich ist, neu geschrieben. Die neu beschriebene Incendiamoeba cascadensis gedeiht und teilt sich bei Temperaturen bis zu 63 Grad Celsius (145°F) — ein Rekord für eukaryotische Organismen und eine dramatische Erweiterung der thermischen Grenzen für Leben mit Zellkern und Organellen.

A record-breaker: a eukaryote that prefers the heat

Die meisten Eukaryoten — die Domäne des Lebens, zu der Amöben, Pflanzen, Tiere und Pilze gehören — bevorzugen vergleichsweise milde Temperaturen. Menschen und viele Tiere funktionieren am besten im Bereich von etwa 20–37 °C, und jahrzehntelang gingen Forschende davon aus, dass eukaryotische Zellen oberhalb von ungefähr 60 °C versagen würden, weil ihre komplexen internen Membranen und Organellen unter Hitzestress besonders anfällig sind. Diese Annahme beruhte auf Befunden zu Membranfluidität, Protein-Denaturierung und der Empfindlichkeit mitochondrialer Funktionen, die in der Literatur als limitierende Faktoren für komplexe Zellen diskutiert wurden.

Incendiamoeba cascadensis stellt diese Annahmen infrage. Isoliert von einem Team um H. Beryl Rappaport und Angela Oliverio an der Syracuse University und berichtet in einem bioRxiv-Preprint, beginnt diese als "Feuer-Amöbe" bezeichnete Art erst oberhalb von 42 °C zu wachsen — damit handelt es sich um einen obligaten Thermophilen — und zeigt optimales Wachstum in etwa bei 55–57 °C. Die Forschenden beobachteten die Zellteilung (Mitose) direkt bei 58 °C und bei der Rekordtemperatur von 63 °C, womit der bisherige Amöben-Rekord von 57 °C, aufgestellt von Echinamoeba thermarum, übertroffen wurde. Diese Befunde deuten darauf hin, dass thermotolerante eukaryotische Linien komplexe Anpassungen entwickelt haben, die weit über einfache Hitzeschutzmechanismen hinausgehen.

Field to flask: how researchers tested extreme limits

Rappaport, Oliverio und Kolleginnen und Kollegen sammelten zwischen 2023 und 2025 Heißwasserproben aus verschiedenen Quellen in Lassen und konnten die Amöbe an 14 von 20 beprobten Standorten nachweisen. Im Labor kultivierten sie getrennte Proben in mehreren Flaschen und fügten Weizenkörner (wheatberry) hinzu, um das bakterielle Wachstum zu stimulieren, auf das die bacterivoren Amöben angewiesen sind. Die Temperatur wurde zur zentralen experimentellen Variablen: Es wurden 17 Temperaturbedingungen von 30 bis 64 °C getestet, mit vier Replikaten pro Temperaturstufe, um Wachstumskurven, Überlebensraten und zelluläre Verhalten zuverlässig zu erfassen. Solche systematischen Temperaturgradienten helfen, ökologische Nischen und physiologische Toleranzbereiche präzise zu definieren.

I. cascadensis blieb unterhalb von 42 °C inaktiv, gedieh zwischen etwa 55 und 57 °C und zeigte selbst bei 64 °C noch Bewegung. Bei 66 °C begann sie schützende Zysten zu bilden — eine Dormanzstrategie — und Zystenbildung wurde überraschenderweise auch bei 25 °C beobachtet, was als ungewöhnlich hohe untere Grenze für Encystment gilt. Die Bewegung hörte bei 70 °C auf, doch Proben konnten nach Abkühlung wieder reaktiviert werden; ein irreversibler Tod wurde erst in der Nähe von 80 °C beobachtet. Solche Befunde legen nahe, dass die Art über robuste Reparatur- und Schutzmechanismen verfügt, die reversiblen Hitzeeffekten entgegenwirken und bei Abkühlung eine Erholung erlauben.

I. cascadensis in ihrem verlängerten wurmförmigen Zustand für schnellere Fortbewegung (B, E) und im amöboiden Zustand zum Fressen und Erkunden (C, D). (Rappaport et al., bioRxiv, 2025)

Genomics and survival strategies: what makes this amoeba heat-proof?

Genomanalysen lieferten erste Hinweise auf die molekularen Grundlagen der Hitzetoleranz. Das Genom der Amöbe kodiert erweiterte Sets von Hitzeschockproteinen und Chaperonen — molekulare Helfer, die andere Proteine unter Stress stabilisieren — sowie Anpassungen in Signalwegen für schnelle zelluläre Reaktionen und Hitzeantworten. Zusätzlich fanden die Forschenden Hinweise auf Modifikationen in Membranlipidbiosynthese-Genen, die eine erhöhte Membranstabilität bei hohen Temperaturen begünstigen könnten. Zusammen dürften diese molekularen Features Membranen und essentielle Proteinkomplexe vor Denaturierung schützen, wenn Temperaturen erreicht werden, die die meisten Eukaryoten lähmen würden.

Im Gegensatz zu den hartgesottensten Prokaryoten — etwa dem Archaeon Methanopyrus kandleri, das an Tiefseeventilen Temperaturen von über 100 °C toleriert — tragen Eukaryoten empfindliche interne Membranen und Organellen wie Mitochondrien und Kerne. Die Entdeckung einer Eukaryote, die nicht nur hohe Temperaturen toleriert, sondern diese sogar benötigt, zwingt zu einer Neubewertung der evolutionären Einschränkungen der zellulären Komplexität. Insbesondere wirft dies Fragen nach der evolutionären Herkunft dieser Gene auf: Sind sie Ergebnis früher Divergenz, von horizontalem Gentransfer durch thermophile Prokaryoten oder durch konvergente molekulare Anpassungen entstanden? Weitere vergleichende Genomstudien werden nötig sein, um diese Hypothesen zu testen und phylogenetische Verwandtschaften zu klären.

Where else might the fire amoeba live?

Umwelt-DNA-Sequenzen, die nahezu identisch mit I. cascadensis sind, wurden in Proben aus dem Yellowstone-Nationalpark und der Taupō-Region in Neuseeland gefunden. Umwelt-DNA (eDNA) repräsentiert zwar keine intakten Organismen, doch solche Fragmente deuten darauf hin, dass die Amöbe — oder nahe Verwandte — in geothermischen Systemen weltweit verbreiteter sein könnten, als die anfänglichen Lassen-Proben vermuten lassen. Diese eDNA-Funde ermöglichen eine erste Kartierung potenzieller Verbreitungsgebiete und bieten Ansatzpunkte für gezielte Feldexpeditionen und Kultivierungsversuche.

Die geografische Verteilung ist entscheidend: Wenn hitzeangepasste Eukaryoten über verschiedene hydrothermale Standorte der Erde vorkommen, erweitert das die Arten von Umgebungen, die als potenziell bewohnbar für komplexe Zellen betrachtet werden — sowohl auf der Erde als auch bei der Suche nach Leben auf anderen Himmelskörpern. Solche Erkenntnisse beeinflussen Felder wie Ökologie, Evolutionsbiologie und Astrobiologie, indem sie die Bandbreite biologischer Anpassung erweitern.

Why this matters for ecology and astrobiology

Die Implikationen sind weitreichend. Praktisch betrachtet könnten hitzeresistente eukaryotische Proteine und Chaperone als Vorbild für industrielle Enzyme dienen, die bei hohen Temperaturen funktionieren, was Prozesse in Biotechnologie, Lebensmitteltechnologie oder Materialwissenschaften effizienter machen könnte. In ökologischer Hinsicht tragen obligate Thermophile wie I. cascadensis dazu bei, mikrobielle Nahrungsnetze in geothermischen Ökosystemen zu formen, indem sie Bakterien grasen, Nährstoffflüsse beeinflussen und mit anderen Extremophilen interagieren. Solche Wechselwirkungen beeinflussen Stoffkreisläufe, Community-Strukturen und die Stabilität dieser spezialisierten Lebensräume.

Für die Astrobiologie stellt die Entdeckung eine Herausforderung für konservative Annahmen dar, wo Leben möglich sein könnte. Viele Modelle zur extraterrestrischen Bewohnbarkeit schließen hohe Temperaturen für komplexes Leben aus. Wenn eukaryotische Zellen jedoch bei Temperaturen über 60 °C funktionieren und sich teilen können, muss der Bereich potenziell lebensfreundlicher Umgebungen auf Welten wie dem frühen Mars, eisbedeckten Monden mit subsurface hydrothermalen Aktivitäten (z. B. Enceladus oder Europa) oder Exoplaneten mit geothermischen Hotspots neu bewertet werden. Das erweitert die Hypothesen darüber, welche Planeten- oder Mondtypen als Ziele für zukünftige Missionen priorisiert werden sollten.

Expert Insight

„Dieser Fund erweitert die erlaubte Bandbreite für eukaryotisches Leben“, sagt Dr. Lina Ortega, eine mikrobielle Ökologin, die nicht an der Studie beteiligt war. „Wir neigen dazu anzunehmen, Komplexität sei gleichbedeutend mit Fragilität, doch Incendiamoeba cascadensis zeigt, dass zelluläre Komplexität mit extremer Hitze kompatibel sein kann, wenn die Evolution unterstützende molekulare Systeme selektiert. Aus astrobiologischer Perspektive bedeutet das, dass wir die Arten planetarer Nischen, die wir modellieren und suchen, ausweiten sollten.“ Ihre Einschätzung betont, wie wichtig interdisziplinäre Forschung ist, wenn es darum geht, biologische Grenzen zu definieren und Hypothesen über Lebensfreundlichkeit auf anderen Körpern zu entwickeln.

Next steps and open questions

Wichtige Fragen bleiben offen. Wie hat I. cascadensis seine hitzestabilen Mechanismen evolviert — durch vertikale Vererbung, horizontalen Gentransfer, konvergente Evolution oder durch eine Mischung dieser Prozesse? Welche Grenzen hat ihre metabolische Flexibilität, und kann die Amöbe auch andere Extreme wie hohe Säurekonzentrationen, Druckschwankungen oder variierende Salzgehalte tolerieren? Langfristige ökologische Erhebungen, vergleichende Genomik, Proteomik und gezielte Laborexperimente zur Proteinstabilität und Membranzusammensetzung werden nötig sein, um diese Fragen zu beantworten.

Das Team von Rappaport und Oliverio hat seine Arbeit als Preprint auf bioRxiv veröffentlicht und lädt zur Begutachtung und zu Folgeuntersuchungen ein. Ob diese Entdeckung eine isolierte evolutionäre Kuriosität darstellt oder den Auftakt zu vielen weiteren bekannten „heißen“ Eukaryoten markiert, sie erzwingt bereits jetzt ein wissenschaftliches Umdenken: Komplexes Leben kann an deutlich heißeren Orten persistieren, als bisher angenommen, und diese Orte verdienen sowohl in terrestrischen als auch in extraterrestrischen Habitabilitätsstudien eine genauere Untersuchung. Für die Forschungspraxis bedeutet das gesteigerte Feldarbeit in geothermisch aktiven Regionen, deutlich erweiterte genetische Screening-Programme und interdisziplinäre Kooperationen zwischen Ökologen, Molekularbiologen und Astrobiologen, um die Tragweite dieser Anpassungen vollständig zu erfassen.

Quelle: sciencealert

Kommentar hinterlassen

Kommentare